Die Erwartungen, aber auch die Ablehnung unserer Eltern haben einen großen Einfluss auf unsere Entscheidungen.
Zwei der wichtigsten psychologischen Muster, die unbewusst über Erfolg oder Misserfolg erwachsener Kinder entscheiden können, sind der Krabbenkorb- und der Rosenthal-Effekt.
Der „Rosenthal-Effekt“: Wie Erwartungen beflügeln — oder Flügel stutzen
In den 1960er Jahren untersuchten der deutsch-amerikanischen Psychologieprofessor Robert Rosenthal und seine Kollegin Lenore Jacobson erstmals, wie Erwartungshaltungen unser Verhalten beeinflussen und dadurch ganz wesentlich über Erfolg oder Misserfolg mitbestimmen
Sie wählten an verschiedenen Grundschulen per Zufall einige Kinder aus und erklärten deren Lehrern, dass diese Schülerinnen und Schüler besonders begabt seien und in nächster Zeit ein großer Leistungssprung zu erwarten sei.
- Tatsächlich zeigten Tests nach einem Jahr, dass die Leistung der zufällig ausgewählten Kinder sehr viel stärker gestiegen waren als die der Kinder in der Kontrollgruppe.
Die Erwartung der Lehrerinnen und Lehrer hatte zu mehr Aufmerksamkeit und Förderung der “rising stars” geführt, weshalb die Kinder in der Schule dann auch — wie von den ahnungslösen Lehrerinnen und Lehrern erwartet — überdurchschnittlich besser abschnitten.
Den Rosenthal-Effekt (wenn es um eine einzelne Person geht, wird er auch als Pygmalion-Effekt bezeichnet) wurde in vielen verschiedenen Experimenten reproduziert. Er gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder und beeinflusst alle Lebensbereiche. Die Auswirkungen unserer Erwartungen können positiv, aber auch negativ sein.
- Hat man in seiner Familie beispielsweise den Ruf, ein Tolpatsch zu sein, der sowieso nichts hinbekommt, hat das einen gravierenden Einfluss auf unser Verhalten (wir halten uns selbst für einen Tolpatsch und trauen uns nichts zu) und damit auch auf unsere Leistung.
Haben unsere Eltern dagegen Vertrauen in unsere Fähigkeiten, übernehmen wir diese Einstellung, werden mutiger, haben ein hohes Selbstvertrauen, was dann meistens zum Erfolg führt.
Wie kann man den Rosenthal-Effekt vermeiden?
Vermeiden lassen sich die Auswirkungen des Rosenthal-Effekts vor allem dadurch, dass man ihn kennt. Dass man ihn kritisch hinterfragt und gegebenenfalls dagegensteuert.
Denn auch wir selbst beeinflussen unseren Erfolg durch unsere innere Erwartungshaltung.
Wer eine Aufgabe mit einem inneren “Ich kann nicht” startet, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht können. Es ist also von entscheidender Bedeutung, mit welchen Erwartungshaltungen wir an das, was wir tun, herangehen.
- Energie, Optimismus und Mut hängen viel stärker davon ab, wie wir eine Situation bewerten, und viel weniger davon, wie sie tatsächlich ist.
- Wer gelernt hat, dass er auch bei großen Herausforderungen eine Lösung findet, wird eine Lösung finden. Wer dagegen gelernt hat, dass es besser ist zu jammern und die Hände in den Schoß zu legen, wird es auch dieses Mal nicht schaffen. Man wird zum Opfer von Selbstsabotage durch ’selbsterfüllende Prophezeiungen’, fühlt sich oft fremdgesteuert und hat so gut wie nie das Gefühl (und den Antrieb), dass man selbst etwas an einer unglücklichen Situation ändern kann.
Wer oft von starken Selbstzweifeln geplagt wird, Sorge hat, selbst etwas in die Hand zu nehmen, weil man es ändern will, oder sehr oft wider besseren Wissens aufschiebt, sollte sich die Frage stellen, ob man möglicherweise bereits als Kind als “wenig durchsetzungsstark”, “zu verträumt” oder “nicht belastbar” galt.
Möglicherweise klemmt es, weil man unbewusst alte Einschätzungen aus Kindertagen übernommen hat, die bis heute als Rosenthal-Effekt wirken …
Wenn Neid alles blockiert: Der „Krabbenkorb-Effekt“
Setzt man mehrere Krabben in einen Korb, unterstützen sie sich nicht beim Ausbrechen, sondern ziehen sich gegenseitig runter. Sobald eine Krabbe die Korbwand hochkrabbelt und sich dem Rand nähert, um zu fliehen, wird sie von den anderen zurück in den Korb gezogen. Deswegen brauchen Krabbenkörbe keinen Deckel.
Diesen Effekt kann man – leider – auch oft in Familien und im Berufsleben beobachten.
- Sobald jemand aus unserem engeren Kreis einen völlig anderen Weg wählt als wir, verunsichert uns das. Denn nur wer unsere Lebensvorstellungen in ähnlicher Weise übernimmt, erkennt sie dadurch auch als „richtig” an.
Maurer werden in einer Familie aus Akademikern?
Sich bewusst für die Karriere und gegen Kinder entscheiden — wie erklärt man das Familie und Freund(inn)en?
- Wir plädieren zwar für individuelle Lebenswege, aber zu sehr sollte sich der Weg eines Kindes oder eines Freundes nicht von unserem eigenen unterscheiden. Alles andere stellt unseren eigenen Weg infrage.
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Den Krabbenkorb-Effekt kennt man auch aus dem Berufsleben: Sobald jemand aus dem Team heraussticht, wird er oder sie eher argwöhnisch betrachtet, anstatt für neue Ideen und Wege Beifall zu klatschen und zu loben (schiefgehen kann es natürlich trotzdem).
Schließlich haben viele Menschen Angst vor Veränderungen.
Im Job kann es sehr nervig sein, wenn Kolleginnen und Kollegen mit Anerkennung (oder sogar Begeisterung) sehr sparsam sind, sobald man versucht, neue Wege zu gehen. Aber besonders schwer ist es, beispielsweise gegenüber seinen Eltern rechtfertigen zu müssen, warum man den „falschen“ Beruf ergreift, den „falschen“ Partner liebt oder seine Kinder „falsch“ erzieht
- Besonders die Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder legt großen Wert auf Sicherheit und darauf, alles unter Kontrolle zu haben. Schlägt ein (erwachsenes) Kind einen Weg ein, den sie als unsicher empfinden, machen sie sich große Sorgen – und fühlen sich möglicherweise selbst in ihrer Lebensweise kritisiert.
Es wird eine Weile dauern, bis sich Eltern mit einer „falschen“ Lebensweise aussöhnen können. Aber es lohnt sich, seinen eigenen Weg zu gehen, um glücklich sein zu können.
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Was uns glücklich macht: Positive Psychologie und positives Denken
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