Was will eigentlich dieser Schleicher? Während Brüning als Hungerkanzler und Papen als Steigbügelhalter Hitlers in die Geschichte eingegangen sind, ist Schleichers Rolle beim Ende der Weimarer Republik bis heute nicht klar.
Ist er die dunkle Macht, die hinter den Kulissen der Republik absichtlich den Todesstoß versetzt — oder versucht er zu retten, was noch zu retten ist?
Papen und Schleicher
Selbst Franz von Papen war überrascht, als ihn Hindenburg im Juni 1932 zum neuen Reichskanzler der gefährlich schlingernden Weimarer Republik ernennt.
Und selbst ihm muss klar sein, dass er dieses Amt nur seinem alten Kriegskameraden und “Freund” Kurt von Schleicher zu verdanken hat.
Die Zahl echter Papen-Fans ist überschaubar und auch Schleicher selbst hält nicht besonders viel von seinem Fränzchen, wie er ihn zu nennen pflegt:
” … Auf die erstaunte Bemerkung, Papen sei doch kein Kopf, soll Schleicher erwidert haben: „Das soll er ja auch nicht sein. Aber er ist ein Hut.“
Aus: Rüdiger Barth, Hauke Friedrichs, Die Totengräber: Der letzte Winter der Weimarer Republik *
Schleicher ist der starke Mann hinter den Kulissen.
Er ist nie gewählt worden und zu dieser Zeit kennt ihn außerhalb des politischen Berlins kaum einer.
Er war es, der Papens Vorgänger im Kanzleramt, Heinrich Brüning, bei Reichspräsident Hindenburg diskreditiert und dadurch zu Fall gebracht hat, um Papen als neuen Reichskanzler (und seine Marionette) zu installieren.
Was will dieser Schleicher mit seinem Kanzler-Roulette erreichen — er, „der begabteste Intrigant einer an begabten Intriganten nicht armen Zeit“?
Während das historische Urteil über Franz von Papen eindeutig ist: eitel, Hitlers Steigbügelhalter, kurzsichtiger Reaktionär, politischer Dilettant, „ich dien‘ – egal wem“ (Alfred Polgar), scheiden sich an Kurt von Schleicher die Geister.
Fränzchen als Spion des Kaisers
Franz Joseph Hermann Michael Maria von Papen, Erbsälzer zu Werl und Neuwerk, stammt aus einem alten westfälischen Adelsgeschlecht, das mit Salzgewinnung (deswegen „Erbsälzer“) zu Geld und Titel gekommen ist.
Er wird 1879 als drittes von fünf Kindern geboren, besucht ab seinem 11. Lebensjahr die Kadettenschule und dient einige Zeit lang als Page am Kaiserhof in Berlin.
Was bereits den jungen Papen ausmacht, ist ein gewisser Hang zur politischen Schusseligkeit.
1913, kurz vor Beginn des Weltkriegs, erhält er dank der guten Kontakte seines Vaters zu Wilhelm II. den Posten des Heeresattachés an der deutschen Botschaft in den USA, und beginnt dort, sich konspirativ zu betätigen.
Er will die Produktion kriegswichtiger Industriegüter in den USA unterlaufen, indem er über eine Scheinfirma sämtliche Bestände der Ausgangsmaterialien aufzukaufen versucht, in der Hoffnung, dass dadurch für Deutschlands Kriegsgegner in Europa nichts mehr für die Produktion von Waffen übrigbleibt.
Allerdings gelingt ihm die Konspiration als eine Art kaiserlicher 007 nur mäßig; er fliegt auf und wird 1916 des Landes verwiesen.
Dank seines Diplomaten-Status‘ kann er die USA unbehelligt verlassen und erhält freies Geleit zurück ins Deutsche Kaiserreich.
In der falschen Annahme, dass der Diplomaten-Status auch für sein Gepäck gelten würde, reist er mit hochbrisantem Material, denn Quittungen, Rechnungsbücher und andere Dokumente über seine Spionage-Tätigkeit will er mit nach Hause nehmen.
Es ist ein fataler Irrtum, denn die Briten durchsuchen seine Koffer und finden die hochvertraulichen Unterlagen. Das sorgt dafür, dass zahlreiche Spione in den USA, die für ihn gearbeitet haben, auffliegen und verhaftet werden.
Zurück im Kaiserreich orientiert sich Papen neu und macht im Heer Karriere.
Und wichtige Bekanntschaften: Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, damals Weltkriegsheld und Chef der Obersten Heeresleitung, ist ein alter Bekannter aus Kaisers Zeiten, ebenso wie Kurt von Schleicher und Joachim Ribbentrop, die beim Papen-Hitler-Deal im Januar 1933 zwar unterschiedliche, im Ergebnis aber unselige Rollen spielen werden.
Franz von Papen und die große Politik
Aber zunächst geht 1918 der Weltkrieg für das Kaiserreich unrühmlich verloren und Franz von Papen scheidet im Frühjahr 1919 als hochdekorierter Oberstleutnant aus der Armee aus. Dem 100.000-Mann Heer, das gemäß des Versailler Vertrags den Deutschen noch übrigbleibt, will er nicht dienen.
Anders als viele andere seiner ehemaligen Kameraden, die nach ihrer Entlassung aus der Armee in den Nachkriegsjahren1918/1919 weder beruflich noch existentiell weiterwissen, fällt er weich, denn zu seinem Vermögen kommt noch das seiner Ehefrau Martha von Boch-Galhau, einer millionenschweren Erbin der Villeroy & Boch Keramikdynastie, mit der er seit 1905 verheiratet ist.
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Als guter westfälischer Katholik mit viel Freizeit schließt er sich der katholischen Zentrumspartei an, hat allerdings für Demokratie und Republik nicht viel übrig.
Trotz seiner Zugehörigkeit zu einer demokratischen Partei tritt er offen für die Wiederherstellung der Monarchie ein, weshalb es häufig zum Knatsch mit der Parteispitze kommt, die im Reichstag mit der „atheistischen“ SPD kooperiert und manchmal auch koaliert.
1925 entgeht Papen nur knapp einem Parteiausschlussverfahren, denn bei der Präsidentschaftswahl unterstützt er nicht den Kandidaten seiner eigenen Partei, Wilhelm Marx, sondern seinen „alten Kameraden“ Generalfeldmarschall a.D. Paul von Hindenburg.
Der Parteiausschluss wird gestoppt, weil er kurz zuvor ein großes Aktienpaket der zentrumseigenen Parteizeitung Germania gekauft hat.
Alles in allem mischt Papen wegen seines Standes, seiner „alten“ Bekanntschaften und seines Vermögens immer in der Politik der Weimarer Republik mit, politische Glanzleistungen gelingen ihm allerdings nie.
Umso überraschender ist es, dass er im Frühsommer 1932 plötzlich als neuer deutscher Reichskanzler und Nachfolger seines Parteikollegen Heinrich Brüning im Gespräch ist.
Schlimmer noch: Reichskanzler wird.
Intrigant oder Retter der Republik? Der Bürogeneral Kurt von Schleicher
Für die einen ist er die dunkle Macht, die der Republik den endgültigen Todesstoß versetzt.
Für die anderen ist er ein Pragmatiker, der im Fadenkreuz zwischen dem (alters-)starrsinnigen und allmächtigen Hindenburg, der Bedrohung von rechts und links für die Republik und einem Parlament, das sich selbst lahmgelegt, versucht, zu retten, was noch zu retten ist.
Auch Kurt Ferdinand Friedrich Hermann von Schleicher hat im 1. Weltkrieg beim Militär Karriere gemacht und dort wichtige Kontakte geknüpft – unter anderem zu Oskar von Hindenburg, dem Sohn von Paul von Hindenburg.
Anders als Papen bleibt er nach 1918 in der Reichswehr und verfolgt seine Laufbahn.
Er ist fleißig, charmant, ein ausgezeichneter Netzwerker und hat mit Wilhelm Groener, seit 1928 Reichswehrminister, einen langjährigen Mentor, Freund und politischen Ziehvater (… den er dann allerdings ziemlich kalt abserviert, um selbst Reichswehrminister zu werden).
Schleicher wird General, ohne jemals ein Truppenkommando geführt zu haben.
Das bringt ihm den hämischen Beinamen „Bürogeneral“ ein: Er ist der erste General in der Geschichte, der seinen Rang durch politische (Büro-)Arbeit erreicht.
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Rüdiger Barth, Hauke Friedrichs, Die Totengräber: Der letzte Winter der Weimarer Republik*, S. FISCHER Verlag, 2018
Bereits nach der Septemberwahl 1930, als klar wird, dass die NSDAP keine Splitterpartei mehr ist, beginnt Schleicher, Kontakte zu führenden Nationalsozialisten aufzubauen und seine Fäden zu spinnen.
Von ihm – und nicht von Papen – stammt die Idee, Hitler in die Regierung einzubinden, in der Hoffnung, ihn dadurch „abzunutzen“ und zu blamieren.
Außerdem sollen die 450.000 militärisch ausgebildeten Männer der SA in die Reichswehr eingegliedert werden, sobald das erlaubt ist, um das 100.000-Mann-Heer der Weimarer Republik zu vergrößern. Schleicher rechnet damit bereits 1934.
Kann das funktionieren – die Nazis durch Umarmen entschärfen?
Oder sieht Schleicher in Hitler und den Nationalsozialisten das Rohmaterial, mit deren Hilfe er die Weimarer Republik zur rechtsgerichteten Militärdiktatur umbauen kann?
Was dieser Bürogeneral wirklich will, bleibt oft im Verborgenen.
17. Juli 1932: Der Altonaer Blutsonntag
Es ist ein gefährliches Spiel, das Schleicher treibt, um Reichskanzler Brüning durch Papen zu ersetzen.
Denn Franz von Papen ist den demokratischen Parteien der Weimarer Republik als Kanzler nicht vermittelbar. Nicht mal seiner eigenen Partei, dem Zentrum. Deshalb braucht das neue Kabinett im Reichstag die Tolerierung durch Abgeordnete nicht-demokratischer Parteien.
Das läuft zunächst nach Plan: Die Nationalsozialisten tolerieren Papen und sein neues Kabinett und verhindern, dass die neue Regierung sofort durch ein Misstrauensvotum wieder aus dem Amt gejagt wird.
Als Gegenleistung hebt Schleichers Marionetten-Kanzler Papen vereinbarungsgemäß das seit April 1932 geltende Verbot von SA und SS auf und setzt Neuwahlen für den Sommer an.
Kaum werden die nationalsozialistischen Schlägertruppen wieder von der Leine gelassen, provozieren sie überall im Land blutige Krawalle.
Man zettelt bürgerkriegsähnliche Zustände an, um der Regierung dann lautstark vorwerfen zu können, dass sie die Gewalt auf den Straßen nicht unter Kontrolle bekommt.
Das ist die Strategie.
Besonders schlimm wird es am 17. Juli 1932, dem sogenannten „Blutsonntag“ in der damals preußischen Arbeiterstadt Altona, wo bei Auseinandersetzungen zwischen SA und SS, Kommunisten und der Polizei 18 Menschen sterben.
Die Reaktion der Regierung auf den Gewaltausbruch ist eigenwillig.
Anstatt die Provokateure der Ausschreitungen – SA und SS – erneut zu verbieten, wirft man der preußischen Landesregierung unter dem SPD-Ministerpräsident Otto Braun vor, sie sei nicht in der Lage, für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen, und setzt sie ab.

Von Bundesarchiv, Bild 102–13680 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de
Papens Preußenschlag und der Erdrutschsieg der NSDAP
Reichskanzler Papen wird anstelle der abgesetzten preußischen Regierung Reichskommissar für Preußen und erhält damit die Macht über eines der letzten demokratischen Bollwerke der Weimarer Republik.
War das Papens Idee – oder Schleichers?
Die SPD reagiert auf den äußerst fragwürdigen „Preußenschlag“ der Reichsregierung wie gewünscht: Sie ruft ihre Mitglieder zu Ruhe und Besonnenheit auf und bittet sie inständig, auf Streiks und Massenprotesten gegen den Staatsstreich von oben zu verzichten.
Man schlägt im tiefen Glauben an Verfassung und Republik stattdessen den Rechtsweg ein und klagt vor dem Staatsgerichtshof gegen den Willkürakt.
Gibt es für diesen Putsch von oben und den allgegenwärtigen braunen (und roten) Terror auf den Straßen bei den Reichstagswahlen die entsprechende Quittung?
Nein, gibt es nicht.
Ganz im Gegenteil, für die Demokratie ist der Ausgang der Wahl eine Katastrophe: Die NSDAP erringt im Juli 1932 gerade wegen der Straßenkrawalle, Hitlers unermüdlichen Wahlkampfeinsatz und Goebbels’ Propganda einen Erdrutsch-Sieg und kann ihren Wähleranteil verdoppeln.
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Hindenburg und Hitler
Nach der Wahl am 31. Juli 1932 zieht die NSDAP mit 37,4 Prozent der Wählerstimmen als die mit Abstand stärkste Fraktion in den neuen Reichstag ein.
NSDAP und KPD, die beide nichts so sehr wollen wie das Ende der Republik, verfügen jetzt über eine sogenannte „negative Mehrheit“, d.h. sie haben gemeinsam mehr Abgeordnete als sämtliche demokratische (und halbdemokratische) Parteien zusammen.
Hermann Göring wird neuer Präsident des Reichstags
Und Hitler?
Der eilt am 13. August 1932 gemeinsam mit Papen zur Audienz beim Reichskanzler.
Vermutlich voller Vorfreude, denn eigentlich muss Hindenburg ihn, Hitler, als eindeutigen Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragen.
Aber dann kommt der Tiefschlag.
Hindenburg lässt sich nicht bequatschen, beharrt auf „seinem“ Kanzler Papen und bietet Hitler, der im Frühjahr 1932 auch noch gegen ihn, dem Helden von Tannenberg, bei der Reichspräsidentenwahl angetreten ist, die Vizekanzlerschaft an.
Hindenburg mag Hitler einfach nicht.
“Adolf Hitler eignet sich am besten für das Amt eines Postmeisters, dann kann er mich von hinten lecken.”
Zitat, das Paul von Hindenburg zugesprochen wird (Hindenburg ist auf den Briefmarken des Deutschen Reichs abgebildet)
Der „Führer“ schäumt vor Wut und wittert Verrat.
Durch Papen. Dass Schleicher hinter Hindenburgs Sturheit stecken könnte, geht ihm erst sehr viel später auf.
Wutentbrannt kündigt Hitler die Tolerierung der Regierung Papen auf, mit der Folge, dass die konstituierende Sitzung des neu gewählten Parlaments am 6. September 1932 mit Tumulten und einem von der NSDAP unterstützten Misstrauensvotum der KPD gegen Papen beginnt, das mit einer überwältigenden Mehrheit von 512 Stimmen angenommen wird.
Papen ist darauf vorbereitet.
Er hat die von Hindenburg bereits unterschriebene Auflöse-Order in der Tasche, die er dem neuen Reichstagspräsidenten Göring aufs Pult knallt.
Der neugewählte Reichstag ist somit gleich wieder aufgelöst und die Deutschen werden – nach der Reichspräsidentenwahl im Frühling und der Reichstagswahl im Juli – für den 6. November 1932 ein weiteres Mal an die Urnen gerufen.
Bis zur Wahl im November bleiben Papen und sein “Kabinett der Barone” im Amt und regieren ohne Parlament und mit Notverordnungen, die Reichspräsident Hindenburg bereitwillig unterzeichnet.
Bei der NSDAP hofft man auf einen weiteren Erdrutschsieg, vielleicht sogar mit der absoluten Mehrheit im Reichstag.
Die Weimarer Republik scheint im freien Fall ihrem Ende entgegenzustürzen
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Hitlers Novemberwahlschlappe 1932
Doch es kommt anders.
Die Stimmung bei vielen Wählerinnen und Wählern hat sich gedreht.
Der harte Sparkurs Brünings hatte immerhin dazu geführt, dass der Versailler Vertrag als Lieblings-Zündstoff brauner Wahlkampfrhetorik nicht mehr herhalten kann, weil die Reparationszahlungen im Juli 1932 ersatzlos gestrichen wurden.
Deutschland verlässt Schritt für Schritt den Katzentisch der Weltpolitik; in Genf verhandelt man bereits mit den ehemaligen Kriegsgegnern Großbritannien und Frankreich über eine Wiederaufrüstung.
Der „Schandvertrag von Versailles“ hat damit seine rhetorische Schlagkraft verloren und auch die Wirtschaftskrise hat ihre Talsohle erreicht; die ökonomischen Aussichten für 1933 sind günstig und es geht wirtschaftlich langsam bergauf.
Die Folge: Hitlers NSDAP gewinnt nicht, sondern verliert.
Zwar stellt sie nach der Novemberwahl immer noch die stärkste Fraktion im Reichstag, aber 2 Millionen Wählerstimmen sind weg und mit ihnen der Nimbus „unbesiegbar“ zu sein.
Ist die NSDAP auf dem absteigenden Ast?
Hat Hitler seine einmalige Chance, legal an die Macht zu kommen, im Sommer 1932 verspielt, indem er sich weigerte, als Vizekanzler in Papens Regierung einzutreten?
Abwärts mit Hitler
Schlappe“ notiert Tagebuchschreiber Joseph Goebbels nach der Novemberwahl 1932 frustriert in sein Tagebuch.
„Abwärts mit Hitler“ jubelt die SPD-Parteizeitung Vorwärts.
Ist der “Zauber der Unwiderstehlichkeit gebrochen“, wie die Deutsche Allgemeine Zeitung schreibt, und Hitler am Ende?
Fast sieht es so aus, denn nach der Wahl im November gehen für die Nationalsozialisten noch weitere Wahlen verloren, beispielsweise die wichtige Kommunalwahl in Thüringen.
Zudem ist die NSDAP nach den aufwändigen Wahlkämpfen auch noch pleite. Mit rund 14 Millionen soll sie in der Kreide stehen.
Aber nicht nur Lieferanten und Druckereien mahnen zunehmend ungeduldig ihre Bezahlung an, auch 450.000 SA-Männer warten auf ihren Sold.
Und auf die Macht, Pöstchen und Posten, die viele sich ausrechnen, wenn sie auf den kommenden Mann — Hitler — setzen.
Diese Aussichten scheinen jetzt vorbei zu sein.
” Wenn Joseph Goebbels die Analyse der Politischen Polizei in München über seine NSDAP lesen würde, wäre ihm das Alpenpanorama egal: ‚Nicht nur, dass die Neuaufnahmen fast ganz ausgeblieben sind, macht sich auch eine Flauheit unter den Mitgliedern bemerkbar; zahlreiche Austritte sind an der Tagesordnung, die Beiträge gehen stockend ein. …‘
Aus: Rüdiger Barth, Hauke Friedrichs, Die Totengräber: Der letzte Winter der Weimarer Republik *
Die Anschauung, dass der Höhepunkt überschritten ist und vielleicht günstige Aussichten verpasst wurden, ist Gemeingut vieler Nationalsozialisten geworden.“
Wenn die Partei zerfällt, mache ich in drei Minuten Schluss …
Immer häufiger werden in der NSDAP kritische Stimmen laut, dass Hitler mit seinem alleinigen Führungsanspruch der Partei schadet.
Besonders sein Partei-Vize, der mächtige zweite Mann in der Partei, Gregor Strasser, verübelt es dem “Führer”, dass er im Sommer nicht einmal Vizekanzler geworden ist.
Der Bürogeneral und Strippenzieher Kurt von Schleicher gießt eifrig Öl ins Feuer, denn nachdem sich Hitler Gesprächen mit ihm und Hindenburg verweigert, spricht er eben mit Strasser über eine mögliche Regierungsbildung oder Tolerierung der Regierung Papen.
Daraufhin kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Hitler und Strasser, die auch noch öffentlich bekannt werden.
Für einen kurzen Augenblick sieht es so aus, als ob die “Hitler-Partei” zerbrechen könnte, weil der “Strasser-Flügel” sich möglicherweise abspaltet.
Zerlegt sich die NSDAP selbst?
Für den “Führer” scheint dieses Szenario möglich zu sein: Wenn die Partei zerfällt, mache ich in drei Minuten Schluss, schreit ein bis an die Grenze zur Hysterie aufgewühlter Hitler am 8. Dezember den entsetzten Goebbels an.
Viele Deutsche atmen auf und hoffen auf ein friedliches Weihnachtsfest.
Aber noch ist der Kampf um die Weimarer Republik nicht entschieden …
Copyright: Agentur für Bildbiographien, www.bildbiographien.de, 2021
Lesen Sie im nächsten Beitrag: Ende 1932 scheint Hitlers Aufstieg zur Macht endgültig gestoppt zu sein: Die „Hitler-Partei“ ist pleite, zerstritten und hat am 6. November 1932 – das erste Mal seit zwei Jahren – Wählerstimmen verloren. Und trotzdem ernennt der Präsident der Weimarer Republik, Paul von Hindenburg, Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler.
Wie konnte das passieren?
1933 Das Ende der Republik. Hitlers Aufstieg zur Macht
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Bildnachweise:
Kurt von Schleicher: Von Bundesarchiv, Bild 136-B0228 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. Kurt von Schleicher Reichsminister General Kurt von Schleicher (erschossen 1934 bei Röhm-Revolte) in Uniform, Porträt Abgebildete Personen: Schleicher, Kurt von: Reichskanzler, Reichswehrminister, General, 1934 ermordet, Deutschland (GND 118608037)
Franz von Papen: Von Bundesarchiv, Bild 183‑1988-0113–500 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. Geburtstag des Vizekanzlers. Der Stellvertreter des Reichskanzlers, Vizekanzler Franz von Papen, wird am 29.10. 54 Jahre alt. Herr von Papen, der sich um die Einigung des nationalen Deutschland ein historisches Verdienst erworben hat, ist gebürtiger Westfale und war zunächst aktiver Offizier, 1913 Hauptmann im Grossen Generalstab, 1914–16 Militär-Attachè in Washington und in Mexiko. In den beiden letzten Kriegsjahren nahm Herr von Papen am Feldzug teil und war zuletzt Oberstleutnant und Chef des Stabes der 4. Osmanischen Armee. Als Mitglied des Zentrums hat er dem Preussischen Landtag von 1920 bis 1928 und von 1930 — 1932 angehört. Am 1. Juni 1932 übernahm Herr von Papen auf Wunsch des Reichspräsidenten das Reichskanzleramt, das er bis zum 2. Dezember innehatte. Seit dem 30. Januar 33 , dem Tag der Amtsübernahme der Regierung Hitler, ist Herr von Papen Stellvertreter des Reichskanzlers. 37161–33
Franz von Papen als deutscher Militärattaché in Washington, D.C. (1914), gemeinfrei
Von Bundesarchiv, Bild 102–13680 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. Der Ausnahmezustand in Berlin! Die von der Militärbehörde verhafteten und ihres Amtes enthobenen preussischen Polizeiminister Severing, Grzesinsky, Dr. Weiss und Kommandeur Heimannsberg Die Verordnung des Reichspräsidenten von Hindenburg über den Ausnahmezustand an den Litfassäulen in den Strassen Berlins.
Von Bundesarchiv, Bild 183-R99203 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons
ADN-ZB-Archiv Reichspräsidenten 1932 Im März 1932 war die Amtszeit des Reichspräsidenten abgelaufen. Der Wahlkampf tobte erbittert. Die Deutschnationalen stellten Hindenburg als Kandidaten auf. Richtig verkündeten die Kommunisten:“Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler! Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!” UBz:Wahlplakat für Hindenburg [in Berlin] Scherl Bilderdienst
Gregor Strasser (2. von links) im Kreis der Führungsgruppe der NSDAP bei einer Besprechung in Berchtesgaden im Sommer 1932 (Adolf Hitler, Gregor Strasser, Ernst Röhm and Hermann Göring during a gathering in Berchtesgaden in 1932)
Von Rudolf Vollmuth (+1943) — Berlin Document Centre, Gemeinfrei