Die letzten freien Wahlen am 6. November 1932 besiegeln das Schicksal der Deutschen.
Es ist aber nicht das Wählervotum, das den roten Teppich für Adolf Hitler ausrollt, sondern das katastrophale Agieren von mehr oder minder demokratischen Politikern.
Mit einer Mischung aus Ignoranz, Dummheit und Selbstsucht fahren sie die erste Demokratie auf deutschem Boden gegen die Wand. Und das, obwohl Hitlers NSDAP im November 1932 gestoppt zu sein scheint …
Nichts fürchtet Adolf Hitler so sehr wie den Absturz in die Bedeutungslosigkeit.
Die „Goldenen Zwanziger Jahre“ von 1924 bis 1929, in denen es für die Deutschen wirtschaftlich, aber auch politisch aufwärts geht, sind eine harte Zeit für ihn und die Nationalsozialisten.
Anderthalb Jahre später ist alles anders.
Der Börsenkrach vom 24. Oktober 1929 hat die Karten neu gemischt und beschert den republikfeindlichen Parteien rechter und linker Couleur regen Zulauf.
Statt der Wirtschaft erleben jetzt Extremisten auf der ganzen Welt einen nie dagewesenen Aufschwung.
Hitlers NSDAP als Splitterpartei
Die NSDAP ist in den “Goldenen Zwanzigerjahren”, den Boomjahren von 1924 bis 1929, nicht mehr als ein kleiner brauner Haufen im Meer vieler unbedeutender Splitterparteien.
Und obwohl Hitler und seine SA-Truppen überall dort, wo sie aufmarschieren, Krawall machen, um in die Presse zu kommen und auf sich aufmerksam zu machen, sind sie nicht mehr als eine radikale Sekte unter „ferner liefen“.
Bei der Reichstagswahl im Mai 1928 erhalten die Nazis gerade einmal
2,6 % der Wählerstimmen. Die NSDAP — wer soll das sein? Im ARD-Wahlstudio von heute wären sie bei den Wahlergebnissen als kleiner grauer Balken ganz rechts unter “Andere” zusammengefasst und Jörg Schönenborn würde kein Wort über sie verlieren.
Aber es sind n i c h t die Wählerinnen und Wähler, die Adolf Hitler zur Macht verhelfen, sondern Brüning, Papen, Schleicher, Paul von Hindenburg und sein Sohn Oskar, der „in der Verfassung nicht vorgesehene Sohn des Reichspräsidenten“ (Kurt Tucholsky), sind die eigentlichen Wegbereiter der „Machtergreifung“ im Jahr 1933.
Die Weltwirtschaftskrise 1929
Dem Börsenkrach am „Schwarzen Freitag“ folgt der weltweite Zusammenbruch von Banken und schließlich der Niedergang der gesamten Weltwirtschaft.
Hunderttausende – zum Teil auch wirtschaftlich gesunde – Unternehmen kollabieren, weil Banken auf riesigen Bergen fauler Kredite sitzen und jetzt alle Schulden sofort eintreiben.
Neuen Kredite werden nicht mehr vergeben; viele Geldinstitute gehen trotzdem in Konkurs und reißen die Ersparnisse ihrer Kunden mit. Wer Pech hat, steht bei seiner Bank vor verschlossenen Türen und stellt fest, dass sein Sparkonto mit dem Ersparten für schlechte Zeiten einfach weg ist.

Firmen und landwirtschaftliche Betriebe können ohne Kredite nicht mehr investieren, Millionen Menschen verlieren ihre Arbeit. Deflation und Rezession folgen auf die Kreditklemme, weshalb aus der Finanzkrise eine Wirtschaftskrise von nie dagewesenem Ausmaß wird.
Weil immer mehr Menschen immer weniger Geld in der Tasche haben, müssen Unternehmer und Bauern ihre Erzeugnisse und Dienstleistungen zu immer niedrigeren Preisen verschleudern, um überhaupt etwas zu verkaufen.
Dadurch brechen Umsätze und Gewinne ein, die Löhne sinken und es kommt zu Entlassungswellen, die noch mehr Menschen ohne Lohn und Brot auf die Straße setzen.
Es ist eine katastrophale Abwärtsspirale, die in den Jahren nach dem Börsenkrach in Gang kommt.
Noch Monate und Jahre nach dem Börsen- und Bankenkrach führt die Deflation dazu, dass eigentlich gesunde Unternehmen pleitegehen oder nur durch Entlassungen und drastische Lohnkürzungen überleben können.
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Reichskanzler von Hindenburgs Gnaden
Im März 1930 kommt zur Wirtschaftskrise in Deutschland auch noch eine Regierungskrise: Die SPD-geführte Große Koalition unter dem schwerkranken Kanzler Hermann Müller platzt, weil sich die Koalitionäre nicht auf die Höhe der Arbeitslosenversicherung verständigen können.
Dem 83jährigen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, Weltkriegsheld von Tannenberg, Generalfeldmarschall und ehemaliger Oberbefehlshaber seiner Majestät des Kaisers ist das nur recht.
Denn die „Sozis“ tragen seiner Dolchstoßlegenden-Meinung nach die Schuld an der deutschen Niederlage anno 1918.
Er misstraut den Sozialdemokraten als “vaterlandslose Gesellen” aus tiefstem Herzen und hält sie nicht für regierungstauglich. Gut so, wenn sie nicht mehr an der Macht sind.
Drei Tage nach dem Ende der GroKo ernennt Hindenburg eigenmächtig den Fraktionsvorsitzenden der katholischen Zentrums-Partei, Heinrich Brüning, zum neuen Reichskanzler.
Das darf er als Reichspräsident laut Weimarer Verfassung zwar, aber es ist ein Affront gegenüber dem Parlament und zeigt, was er von der “Quasselbude” hält: Nichts.
„Hindenburg ist ein granitgesichtiger, bassstimmiger Feldmarschall mit einem Befehlsgehabe, das kleine Unteroffiziere zittern lässt.“
Hubert Renfro Knickebocker, Korrespondent der New York Evening Post
Zitiert nach: Rüdiger Barth, Hauke Friedrichs, Die Totengräber: Der letzte Winter der Weimarer Republik *
Das Kabinett Brüning
Der neu ernannte Kanzler Brüning stellt innerhalb von zwei Tagen eine Minderheitsregierung auf die Beine — wunschgemäß ohne SPD.
Allerdings tolerieren die vom Reichspräsidenten so tief verachteten Sozialdemokraten das neue Kabinett Brüning, um die Republik nicht noch mehr in Schieflage zu bringen.
Noch wäre es für Brüning also möglich gewesen, demokratisch zu regieren, d.h. Gesetzentwürfe in den Reichstag einzubringen, sich eine Mehrheit dafür zu suchen (Brünings Zentrums-Partei allein ist viel zu klein) und abstimmen zu lassen.
Aber seine Maßnahmen und Gesetzesvorhaben sind nicht populär, so dass das “Mehrheiten-Beschaffen” schwierig ist.
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Statt das Parlament mühsam zu überzeugen, gewöhnt sich das Kabinett Brüning an, auf nur einen zu setzen: den Reichspräsidenten.
Unterschreibt der die entsprechende Notverordnung, lässt es sich bequem am Reichstag vorbeiregieren. Brünings Regierung ist das erste der nun folgenden Präsidialkabinette, die einzig und allein von Hindenburgs Zustimmung abhängen und damit die wichtigsten demokratischen Prinzipien der Verfassung aushebeln.
Reichskanzler in Deutschland?
Wird durch diese Art des Regierens zum Schleudersitz, denn ein Kanzler, der beim “Ersatzkaiser der Deutschen”, Reichspräsident Paul von Hindenburg, in Ungnade fällt, bekommt von ihm auch keine unterschriebenen Notverordnungen mehr.
Wer es sich mit dem Reichspräsidenten verscherzt, hat ausgedient, wie Brüning selbst feststellen wird.
„Hungerkanzler” Heinrich Brüning
Mit Sicherheit wollte Heinrich Aloysius Maria Elisabeth Brüning, Sohn eines Essigfabrikanten aus Münster, nicht als „Hungerkanzler“ in die Geschichte der Deutschen eingehen.
Aber er ist auch nicht in der Lage, sich als ehemaliger Soldat dem Gehorsam gegenüber dem “großen” und greisen Generalfeldmarschall Hindenburg zu entziehen.
Als neuer Reichskanzler macht er sich ans Werk.
Eile ist geboten, denn seit Ende 1929 ist nicht nur die Wirtschaft auf Talfahrt; auch Unruhen und Straßenschlachten zwischen roten und braunen Schlägertrupps häufen sich und erschüttern die gebeutelte Republik.

Um die desaströse wirtschaftliche und politische Lage in den Griff zu bekommen, versucht er, das Land „gesund zu sparen“ und folgt damit dem vorherrschenden wirtschaftspolitischen Zeitgeist.
In einer Zeit, in der Menschen und Wirtschaft in der Krise versinken, setzt Heinrich Brüning den Rotstift an.
Er spart, obwohl die Nachfrage im In- und Ausland sowieso schon zusammenbricht, weil vielen das Geld sogar für’s Nötigste fehlt.
Brüning sorgt dafür, dass es so bleibt: Löhne und Gehälter werden gekürzt, Arbeitslose bekommen weniger Unterstützung, staatliche Investitionen und Ausgaben werden radikal gesenkt oder gestrichen.
Mit seinen Sparmaßnahmen erreicht er genau das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt hat, und würgt wirtschaftlich alles ab, was noch einigermaßen funktioniert.
Wachstum auf Pump?
Das Heer der Arbeitslosen wächst — bald ist jeder 5. ohne Job und Einkommen.
Die Armut und die Hoffnungslosigkeit im Land nehmen ebenso zu wie die Gewalt auf den Straßen.

Mit einem antizyklischen Konjunktur- und Beschäftigungsprogramm, mit dem Arbeitslosigkeit und Rezession durch staatliche Investitionen und mehr Geld in den Taschen der Bürgerinnen und Bürger bekämpft worden wäre, hätte Hitler vielleicht verhindert werden können.
Doch die damalige Lehrmeinung hält (noch) nicht viel von antizyklischem Agieren und Brüning entscheidet sich so, wie es die damalige Lehrmeinung vorsieht.
Ein Konzept, das in dieser Zeit in vielen Ländern befolgt wird und weltweit zu Arbeitslosigkeit, Elend und Hoffnungslosigkeit führt.
„ … Die Regierung beharrte auf der finanzpolitischen Orthodoxie, und die verlangte einen ausgeglichenen Haushalt.
Noch steckten Theorien über unorthodoxe Maßnahmen gegen die Rezession, die Defizitfinanzierung etwa, in den Kinderschuhen. Keynes, der, peinlich genug, kurz nach dem Crash an der Wall Street vorausgesagt hatte, das werde für London keine ernsthaften Konsequenzen haben, die Aussichten seien vielmehr entschieden positiv, hatte seine Theorie antizyklischer Wirtschaftspolitik noch nicht abgeschlossen.Als die Krise einsetzte war es Oswald Mosley, der das ambitionierteste Modell einer geplanten Wirtschaft vorlegte; er wollte Wachstum durch Kreditaufnahme finanzieren …”
Aus: Ian Kershaw, Höllensturz: Europa 1914 bis 1949*
Präsidialkabinette
Der Zustand der Republik ist besorgniserregend: Die Wirtschaft liegt am Boden, die politische Kultur verroht, auf den Straßen der Großstädte prügeln sich Nazis und Kommunisten und es ist ihnen egal, wenn dabei jemand stirbt.
Aber noch sitzen mehr demokratische als antidemokratische Abgeordnete im Parlament.
Diejenigen, die die Republik abschaffen wollen — vor allem die KPD und die NSDAP -, sind in der Minderheit.
Das wird sich bald ändern.
Denn die Weimarer Verfassung ist zwar eine der fortschrittlichsten ihrer Zeit, aber sie enthält auch ein paar gefährliche Haken: Den Paragraphen 48 beispielsweise, mit dem die Väter (und die wenigen Mütter) der Weimarer Verfassung dem Reichspräsidenten die Möglichkeit gegeben haben, den Reichstag per Auflöse-Order aufzulösen.
Es wird zum politischen Gleichgewicht des Schreckens: Der Reichstag kann einen Kanzler per Misstrauensvotum stürzen — und der Reichspräsident den Reichstag mit Hilfe einer auf den Paragraphen 48 gestützten Auflöseorder auflösen.
Es ist eine gefährliche Waffe in den Händen eines starrsinnigen Generalfeldmarschalls a.D. als Reichspräsidenten, wie sich bald herausstellen wird.
Dazu kommen unverdrossene, aber oft außerordentlich ungeschickt agierende Reichskanzler, die (versehentlich?) dabei helfen, den Boden für die zukünftige Diktatur zu bereiten.
Denn zum Regieren braucht man ja nicht unbedingt das vom Volk gewählte Parlament; es reichen auch vom Reichspräsidenten unterzeichnet Notverordnungen.
So sind es letztendlich Hindenburgs präsidiale Allmacht, Intrigen und Hinterzimmer-Politik — und ganz am Ende noch verletzter Männer-Stolz -, die der ersten Demokratie auf deutschem Boden den Garaus machen und Hitler ermöglichen.
Die letzten Kanzler der Weimarer Republik
In 14 Jahren hatte die Weimarer Republik 12 Reichskanzler.
Die letzten drei waren:
„Hungerkanzler“ Heinrich Brüning: 28. März 1930 bis 30. Mai 1932
Franz von Papen: 1. Juni 1932 bis 2. Dezember 1932
Kurt von Schleicher: 3. Dezember 1932 bis 28. Januar 1933
Hitlers NSDAP: von „ferner liefen” zur zweitstärksten Fraktion
Bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 erhält “Hungerkanzler” Heinrich Brüning die Quittung für sein eisernes Sparen.
Die KPD legt zu.
Das ist besorgniserregend.
Denn die KPD ist seit Mitte der 1920er Jahre unter ihrem Chef Ernst Thälmann stramm moskau- und stalintreu und arbeitet emsig an der Weltrevolution in Deutschland.
Das macht vielen Angst. Wer nicht gerade Arbeiterin oder Arbeiter ist — oder arbeitslos — und deshalb etwas zu verlieren hat, macht sich in jenen Tagen mehr Sorgen über die Stärke der KPD als über Nazis.
Die feiern nach der Septemberwahl den bis dahin größten Wahlerfolg ihrer Geschichte: Zwei Jahre zuvor noch unter “ferner liefen” zu finden, liegt ihr Anteil nach der Septemberwahl 1930 bei 18,3 Prozent der Wählerstimmen.
Im Vergleich zu 1928 verzehnfacht sie beinahe die Zahl ihrer Abgeordneten von 12 auf 107 und wird mit einem Schlag von der Splitterpartei zur zweitstärksten Fraktion nach der SPD.
107 grölende und offen demokratiefeindliche NSDAP-Abgeordneten im Reichstag - ist das kein Grund, um die Verzweiflung vieler Wählerinnen und Wähler im Land ernst zu nehmen?
Möglicherweise sogar die harte Sparpolitik, die vor allem die „kleinen Leute” trift, noch einmal zu überdenken?
Aber nicht doch!
Das Ende der Reparationszahlungen
Ungeachtet des desaströsen Wahlergebnisses macht Brüning weiter.
Schließlich braucht er zum Regieren lediglich das Vertrauen Hindenburgs und die von ihm unterschriebenen Notverordnungen.
Wählerstimmen braucht er nicht.
Sein großes Ziel, das für seine Sparsamkeit vielleicht sogar eine noch wichtigere Rolle spielt als die Sanierung des Staatshaushalts: Die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland nutzen, um England, Frankreich und die USA zu überzeugen, endlich ihre Reparationsforderungen gegenüber Deutschland aufzugeben.
Mehrmals waren die Forderungen für die Wiedergutmachung von 269 Milliarden Goldmark (das entspricht etwa 1 Billion Euro) gesenkt und gemildert worden, zuletzt durch den sogenannten Young-Plan, der eine Ratenzahlung bis ins Jahr 1988 vorsah.
Wirtschaftlich waren die Deutschen nach dem Beginn des Aufschwungs ab 1924 einigermaßen klar gekommen, aber innenpolitisch sind und bleiben die Reparationszahlungen eine gefährliche Treibmine.
Genüsslich arbeiten sich die rechtspopulistischen Parteien am „Schandvertrag von Versailles” und den alliierten Reparationsforderungen ab:
Deutschland müsse für einen Krieg bezahlen, den die anderen angefangen hätten.
Es ist eine argumentative Allzweckwaffe, mit der die Rechten – sehr erfolgreich – auf Stimmenfang gehen. Mit ihrer Kampagne gegen den Young-Plan bis ins bürgerliche Lager, das eigentlich vor allem die randalierenden und gewaltbereiten nationalsozialistischen Braunhemden verachtet.
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Kein Historiker aus dem Off erzählt die Geschichte, sondern reale Menschen schildern ihre Träume und Schicksale in tollen neuen und alten Bildern. Sehr sehenswert!.
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Heinrich Brüning wittert die Chance, die in der Wirtschaftskrise stecken könnte, um das Thema Reparationszahlungen ein für allemal vom Tisch zu bekommen.
Sein Plan ist, Deutschland gesund zu sparen und gleichzeitig den Rechten durch das Ende der Reparationszahlungen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Sein gefährliches Spiel über Bande hat tatsächlich Erfolg: Im Juli 1932 verzichten die Alliierten spektakulär auf alle weiteren Reparationsforderungen.
„ … Nachdem vor allem die Briten schon lange verstanden hatten, dass der Versailler Vertrag nicht nur ungerecht war, sondern auch dumm und wirtschaftspolitisch schädlich, akzeptieren nun endlich alle Siegermächte, dass Deutschland keine Entschädigungen zahlen muss.
Das schwächt die Chancen der Nationalisten, die von der Empörung gut gelebt hatten. Und entlastet den Staatshaushalt. Und doch geht die Sparpolitik weiter, wird weiter Nachfrage aus dem Markt genommen, verfallen weiter Löhne und Preise. Krise als Programm auch innenpolitisch: Immer stärker werden die Sozialausgaben gekürzt, der Sozialstaat ausgehöhlt, der die Arbeiter und die sozial Schwachen an die Republik gebunden hatte. Die meisten Arbeitslosen kehren der Republik von Weimar den Rücken.”
Aus: Christian v. Ditfurth, Deutsche Geschichte für Dummies*
Brünings Sturz und Papens Aufstieg
Feiern kann Brüning seinen Erfolg allerdings nicht mehr: Der „Hungerkanzler“ ist nicht mehr im Amt, als Frankreich und Großbritannien das Ende ihrer Reparationsforderungen erklären.
Brüning ist am Ende über seine eigene Sparsamkeit gestolpert.
Allerdings nicht, weil es dem Großteil der Deutschen wirtschaftlich immer schlechter geht und Brüning der Notlage des Reiches offenbar nicht gewachsen ist.
Brünings kapitaler Fehler, der ihm das Reichskanzleramt kostet: Er hat den Rotstift auch bei der sogenannten Osthilfe angesetzt, einem Gesetzespaket, das ostelbische Rittergutbesitzer subventioniert.
Das enttäuscht Reichspräsident Hindenburg, denn er besitzt selbst ein entsprechendes (und geschenktes) ostelbisches Rittergut.
Noch mehr erzürnen ihn Brünings Sparpläne, weil sich seine Nachbarn in Ostpreußen bei ihm beschweren.
Hat er, der Reichspräsident, denn seinen Kanzler nicht mehr im Griff?
Hindenburg entzieht Brüning deshalb nach zwei Jahren eifrigen Bemühens als Reichskanzler das Vertrauen. Und ohne Hindenburgs Segen kann in Deutschland niemand mehr regieren.
Brünings Nachfolger ist schnell gefunden: Es ist Franz von Papen, der mit seinem “Kabinett der nationalen Konzentration” (böse Zungen nennen es das „Kabinett der Barone“, weil seiner Regierung fast nur Adelige angehören) und mit Hilfe präsidialer Notverordnungen die Deutschen vom Elend in die Katastrophe stürzen wird.
Als besonders helles Licht hat Papen sich noch nie hervorgetan: Trotz seines erheblichen Vermögens und seiner weitreichenden Kontakte ist Papen ein Mann, der bestenfalls das Zeug zum Hinterbänkler hat.
Realistisch gesehen — und das ist auch den meisten seiner Zeitgenossen klar — ist Papen ein politisches „Federgewicht“, wie es der Historiker Golo Mann formuliert hat.
Umso mehr dürfte es ihn – wie alle anderen auch – überrascht haben, als er im Juni 1932 plötzlich zum neuen deutschen Reichskanzler und Nachfolger seines Parteikollegen Heinrich Brüning wird.
Copyright: Agentur für Bildbiographien, www.bildbiographien.de, 2021 (überarbeitet 2023)
Lesen Sie im nächsten Beitrag: Was will eigentlich dieser Schleicher? Während Brüning als “Hungerkanzler” und Papen als “Steigbügelhalter Hitlers” in die Geschichte eingegangen sind, ist seine Rolle beim Ende der Weimarer Republik bis heute nicht klar.
Ist er die dunkle Macht, die hinter den Kulissen der Republik absichtlich den Todesstoß versetzt — oder versucht er zu retten, was noch zu retten ist?
1932: Das Ende der Republik. Papen und Schleicher
Buch- und Filmempfehlungen:
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Florian Illies’ Buch über Liebe und Hass in der Zeit zwischen 1929 bis 1939, ist nicht nur ein indiskreter Blick in die Beziehungskisten berühmter und weniger berühmter Leute, sondern vor allem auch wie 1913: Der Sommer des Jahrhunderts* mit wunderbar leichter Hand erzählte Zeitgeschichte.
Ein sehr lesenswerter Pageturner.
Florian Illies, Liebe in Zeiten des Hasses: Chronik eines Gefühls 1929-1939*, FISCHER Taschenbuch, 2023
Berlin, Mai 1929.
Das erste Buch aus Volker Kutschers sehr lesenswerter Gereon-Rath-Krimireihe (die Vorlage zur TV-Serie Babylon Berlin*). Ein spannender Krimi und “nebenbei” ein lesenswertes Porträt der Weimarer Republik Ende der 1920er Jahre. Sehr lesenswert!
Volker Kutscher: Der nasse Fisch*, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2008
Die letzten 10 Wochen der Republik
Die Intrigen und Ränkespiele hinter den Kulissen der Macht, die zum katastrophalen Ende der Weimarer Republik führten — verpackt in einem sehr lesenswerter Geschichts-Thriller. Ein Lehrstück, wie es nicht geht, das jeder kennen sollte. Empfehlenswert!
Rüdiger Barth, Hauke Friedrichs, Die Totengräber: Der letzte Winter der Weimarer Republik*, S. FISCHER Verlag, 2018
Das Lebensgefühl der Deutschen Ende der 1920er Jahre,
die Zerrissenheit der Weimarer Republik zwischen Links und Rechts und ein packender Krimi nach Volker Kutschers Gereon-Rath-Krimireihe* perfekt in Szene gesetzt. Eine sehenswerte Serie für alle, die sich für die Zwanziger Jahre begeistern — und für die, die Zeitgeschichte vor allem durch die Menschen, die damals gelebt haben, begreifen wollen.
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Walter Ulbricht
und seine Rolle beim Scheitern der Linken, gemeinsam gegen Hitler zu kämpfen. Seine Vasallentreue zu Stalin, aber auch sein Verhältnis zu Frauen und seinen Kindern.
Ulbrichts Urenkel hat viel Neues über seinen Urgroßvater ausgegraben und darüber ein spannendes und informatives Buch geschrieben. Lesenswert!
Florian Heyden, Walter Ulbricht: Mein Urgroßvater*. Das Neue Berlin, 2020
Die Machtergreifung 1933, der Mythos ‘Autobahnbau’, Röhm-Putsch
- und vieles mehr übersichtlich und sehr informativ beschrieben und mit tollen Bildern gezeigt. Der Werdegang Hitlers und der NSDAP und die ersten 1000 Tage des Nazi-Regimes in spannenden Texten und Fotos — sehr lesenswert!
GEO Epoche, Deutschland unter dem Hakenkreuz, Teil 1: 1933 — 1936. Die ersten 1000 Tage der Diktatur*
Gruner + Jahr, 2013
Weiterführende Beiträge:
Hitlers “Machtergreifung”: Ende 1932 scheint Hitlers Aufstieg zur Macht endgültig gestoppt zu sein: Die „Hitler-Partei“ ist pleite, zerstritten und hat am 6. November 1932 – das erste Mal seit zwei Jahren – Wählerstimmen verloren. Und trotzdem ernennt der Präsident der Weimarer Republik, Paul von Hindenburg, Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler.
Wie konnte das passieren?
1933- Das Ende der Republik. Hitlers Aufstieg zur Macht
Sir Oswald Mosley (1896 – 1980), seines Zeichens Erbe und 6. Baronet, hat nicht nur Schlag bei den Frauen, sondern auch wechselnde politische Einstellungen, was mit einer abwechslungsreichen Berufskarriere verbunden ist. Nachdem er in Großbritannien sämtlichen demokratischen Parteien angehört hat, gründet er 1932 die faschistische BUF und versucht sich als britische Kopie von Adolf Hitler.
Hail Mosley!
Wirtschaft im “Dritten Reich”: Wirtschaftlich stand das Dritte Reich nie auf sicheren Beinen. Die Ökonomie im Nationalsozialismus war von Anfang an auf Täuschung und Expansion – Krieg – gebaut. Über Autobahnen, Arbeitsschlachten, MeFo-Wechsel, Lügen und Täuschungen – ohne die Hitlers Weg in den Krieg nie funktioniert hätte.
Autobahn und Mefo-Wechsel: Adolf Hitler, die deutsche Wirtschaft und der Weg in den 2. Weltkrieg
Die Weltwirtschaftskrise 1929 und ihre Folgen: Tatsächlich ist der „Schwarze Freitag“ ein Donnerstag. Am 24. Oktober 1929 beginnen an der New Yorker Wall Street die Aktienkurse zu rutschen. Gegen Mittag wird aus Nervosität Panik, der Dow Jones sackt ab, der Handel bricht mehrmals zusammen. Der Crash wird schließlich zur Wirtschaftskrise, weil jeder versucht zu retten, was noch zu retten ist — egal, zu welchem Preis.
Der schwarze Freitag. Vom Börsenkrach zur Weltwirtschaftskrise
SPD und NSDAP sind Zwillinge! In den 1920er Jahren tobt ein heftiger Machtkampf zwischen den beiden Arbeiterparteien SPD und KPD: Die Sozialdemokraten versuchen, die Republik zu schützen, die Kommunisten arbeiten an der ‘Sowjetrepublik Deutschland’. Über Stalin, Thälmann und die verhängnisvolle Affäre zwischen KPD und SPD in den 1920er Jahren.
Hamburg auf den Barrikaden
Was begeisterte Millionen Menschen an Adolf Hitler, warum folgten sie ihm bis in den Untergang? Ging es tatsächlich nur um Arbeit und Volksgemeinschaft — oder steckt mehr hinter dem “Phänomen Hitler”?
Die Erlaubnis zu hassen
Bildnachweise:
Die Not unserer Zeit! Arbeitslose Hafenarbeiter auf Abruf bei der Straßen-Arbeitsvermittlung am Baumwall, Hamburg, 1931. Von Bundesarchiv, Bild 102–11008 / CC-BY-SA 3.0
ADN-ZB/Archiv Deutschland Berlin: Wohltätigkeitsspeisung armer Leute durch die evangelische Kirchengemeinde In Berlin Niederschönhausen werden durch die evangelische Kirchengemeinde arme Leute gespeist. Die Reichswehr hat eine Goulaschkanone und 2 Mann zur Verfügung gestellt. Die Kosten der Speisung bringt die Kirchengemeinde durch freiwillige Spenden auf. Jedes Mitglied zahlt pro Tag 10 Pfennige vorläufig für die Dauer von 3 Monaten. (Aufnahme: 1931). Von Bundesarchiv, Bild 183-T0706-501 / CC-BY-SA 3.0 (Aufnahme: 1931) 5417–31 5417–31
Bundesarchiv Bild 183-S51620, Generalfeldmarschall Paul v. Hindenburg“ von Bundesarchiv, Bild 183-S51620 / CC BY-SA 3.0. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons
Dr. Heinrich Brüning: Reichskanzler, Zentrum, Deutschland. Von Bundesarchiv, Bild 183‑1989-0630–504 / CC BY-SA 3.0 de ADN-ZB/Archiv Heinrich Brüning Politiker des Zenrums und Staatsmann geb. 26.11.1885 in Münster gest. 30.3.1970 in Norwich (Vt.) Brüning war 1921/30 Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes,1924/33 Mitglied des Reichstages. Als Führer der Zenrumsfraktion wurde er 1930 Reichskanler, regierte diktatorisch mit Notverordnungen. Brüning mußte1932 zurücktreten. 1933 emigrierte er in die USA und war 1934/52 Professor in Oxford, Boston und Cambridge, dann 1952/55 an der Universität Köln. Bis zu seinem Tod lebte er wieder in den USA.
Von Bundesarchiv, Bild 183‑1988-0113–500 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. Geburtstag des Vizekanzlers. Der Stellvertreter des Reichskanzlers, Vizekanzler Franz von Papen, wird am 29.10. 54 Jahre alt. Herr von Papen, der sich um die Einigung des nationalen Deutschland ein historisches Verdienst erworben hat, ist gebürtiger Westfale und war zunächst aktiver Offizier, 1913 Hauptmann im Grossen Generalstab, 1914–16 Militär-Attachè in Washington und in Mexiko. In den beiden letzten Kriegsjahren nahm Herr von Papen am Feldzug teil und war zuletzt Oberstleutnant und Chef des Stabes der 4. Osmanischen Armee. Als Mitglied des Zentrums hat er dem Preussischen Landtag von 1920 bis 1928 und von 1930 — 1932 angehört. Am 1. Juni 1932 übernahm Herr von Papen auf Wunsch des Reichspräsidenten das Reichskanzleramt, das er bis zum 2. Dezember innehatte. Seit dem 30. Januar 33 , dem Tag der Amtsübernahme der Regierung Hitler, ist Herr von Papen Stellvertreter des Reichskanzlers. 37161–33
Von Bundesarchiv, Bild 136-B0228 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. Kurt von Schleicher Reichsminister General Kurt von Schleicher (erschossen 1934 bei Röhm-Revolte) in Uniform, Porträt Abgebildete Personen: Schleicher, Kurt von: Reichskanzler, Reichswehrminister, General, 1934 ermordet, Deutschland (GND 118608037)