Im Jahr 1936 trifft die Welt drei Mal aufeinander: Bei der Besetzung des Rheinlands durch deutsche Truppen, der Olympiade in Berlin und auf den Schlachtfeldern Spaniens.
1936: Das Jahr, das mit der Hoffnung beginnt, Hitler endlich zu stoppen, endet ein Jahr später in einem Rausch aus Blut und Terror.
1936: Das Jahr des Scheiterns
Eine gefährliche Liebäugelei mit dem Faschismus macht sich in den 1930er Jahren in ganz Europa breit.
Auch unter den Regierenden. Die Briten versuchen sich mit dem NS-Regime zu arrangieren, denn Hitler sehen sie im Vergleich zu Stalin als das kleinere Übel an. Man versucht, den deutschen “Führer” mit Entgegenkommen und Appeasement zu beschwichtigen.
- Noch schlechter steht es um Frankreich, dessen innenpolitische Lage mehr als labil ist: Zwischen 1932 und 1936 gibt es insgesamt 11 Regierungswechsel.
Die politisch einflussreichsten Kräfte sind Radikalsozialisten, Sozialisten und Kommunisten, die — ebenso wie die Mehrheit der Französinnen und Franzosen — noch unter dem Eindruck des 1. Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise ab 1929 entschieden pazifistisch sind.
In Abwesenheit einer eigenen Idee, wie man mit der Bedrohungslage aus Deutschland umgehen könnte, hängt man sich an Großbritannien; eine Konfrontation mit dem Nazi-Regime im Alleingang will man in Frankreich um jeden Preis vermeiden.
Dazu kommt, dass die wechselnden französischen Regierungen immer aus Koalitionen gebildet werden, weshalb es schwierig ist, eine klare Linie gegenüber dem deutschen NS-Regime zu finden. Man verständigt sich eben auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.
Hitler hat also ein leichtes Spiel in Europa; die USA halten sich aus allem heraus und Stalin ist damit beschäftigt, seine eigene Bevölkerung zu terrorisieren und umzubringen.
Das Dritte Reich dagegen scheint sich nach der “Machtergreifung” der Nationalsozialisten 1933 wirtschaftlich und politische wie ein Phönix aus der Asche zu erheben.
Viele blicken durchaus mit Bewunderung und manchmal auch neidisch auf die scheinbar aufblühende Volksgemeinschaft in Hitlers Deutschland. Freilich ohne die blutigen Kehrseiten und Abgründe zu sehen oder sehen zu wollen.
Der Lutetia-Kreis
Angesichts der Begeisterung, die Hitler nicht nur bei den Deutschen, sondern in ganz Europa auslöst, drängt die Zeit für Antifaschisten und Linke, etwas gemeinsam gegen antidemokratische rechtsgerichtete Kräfte in Europa zu tun.
Deshalb tut sich unter den deutschen Emigranten in Paris Ungewöhnliches.
Am 2. Februar 1936 findet im Hotel Lutetia am Boulevard Raspail 51 bereits die zweite Lutetia-Konferenz statt. Eingeladen hat der gut vernetzte KPD-Funktionär und Selfmade-Verlagsmillionär Willi Münzenberg.
Einschränkungen gibt es keine: die Grundlage des Lutetia-Kreises ist völlige Glaubens- und Gewissensfreiheit. Alle hoffen, dass es mit Hilfe von namhaften Persönlichkeiten aus Politik und Kultur über die Grenzen von Parteizugehörigkeit und Weltanschauung hinaus endlich gelingt, Hitler zu stoppen.
- Es ist ein ungewöhnlicher Schritt, denn während der Weimarer Republik waren Sozialdemokraten und Kommunisten grundsätzlich unterschiedlicher Meinung. Man war nicht bereit, auch nur miteinander zu reden. Die KPD hatte vor 1933 im Reichstag und bei Streiks punktuell sogar mit der NSDAP kooperiert; mit der SPD nie. Das gegenseitige Misstrauen ist groß und sitzt tief.
Erst 1935 begräbt Stalin endgültig die katastrophale Doktrin “SPD und NSDAP sind Zwillinge!”, die mitverantwortlich für Hitlers Aufstieg zur Macht ist. Für die stalintreue KPD galt während der Weimarer Zeit nicht die NSDAP, sondern die SPD als Hauptfeind, der bekämpft werden musste.
Jetzt, drei Jahre nach Hitlers “Machtergreifung” scheint auch Stalin begriffen zu haben, dass Hitler auch zur Gefahr für die Sowjetunion werden könnte. Er räumt die alte Sozialfaschismus-Theorie beiseite und macht damit den Weg frei für eine vorsichtige Öffnung gegenüber Sozialdemokraten und bürgerlichen Parteien für den gemeinsamen Kampf gegen Hitler.
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Zehn Wochen dauert die Höllenfahrt der Weimarer Republik in den Abgrund, und nur einen Februar braucht es, bis Hitler über das Schicksal der Deutschen entschieden hat.
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- Münzenberg bringt über 100 Teilnehmer in seinem Lutetia-Kreis zusammen, darunter 20 Kommunisten, 27 Sozialdemokraten und 37 Vertreter bürgerlicher Parteien. Die Crème de la Crème deutscher Exilanten ist da: die Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid und Max Braun, bekannte Autoren wie Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Egon Erwin Kisch und Johannes R. Becher sind dabei. Kein Geringer als Heinrich Mann ist der amtierende Präsident des Kreises.
Lutetia ist die erste Gelegenheit, bei der man ernsthaft über einen gemeinsamen Widerstand gegen das Dritte Reich spricht. Sie wird die einzige bleiben.
Gelingt es, 1936 zu einem Jahr des gemeinsamen Kampfes gegen Hitler zu machen?
August 1936: Sommer-Olympiade in Berlin
Hitler hielt sich selbst zwar für einen großartigen Strategen, war aber nie einer. Was er — zumindest über viele Jahre — hatte, war ein Gespür für günstige Gelegenheiten.
So zum Beispiel, als das NS-Regime mit der “Machtergreifung” auch die Ausrichtung der Olympischen Spiele 1936 erbt, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) 1932 an die damals schwer strauchelnde Weimarer Republik vergeben hatte.
Hitler, ebenso wie sein Propagandaminister Goebbels völlig unsportlich, erbt als neuer Machthaber eher mürrisch. Vor 1933 hatte er die Olympiade noch als “Komplott von Freimaurern und Juden” abgetan.
Doch dann erkennt die NS-Führungsriege das propagandistische Potenzial der Olympiade im “Reich” und legt sich ins Zeug.
Entsprechend groß, teuer und perfekt sind die Spiele in Deutschland; die Olympischen Winterspiele vom 6. bis zum 16. Februar 1936 in Garmisch-Partenkirchen und erst recht die Sommerspiele vom 1. bis 16. August 1936 in Berlin.
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Am 1. August 1936, auf den Tag genau 22 Jahre nachdem das Deutsche Kaiserreich Russland den Krieg erklärt hat, werden die XI. Olympischen Spiele mit Pomp, tanzenden Kindern und Beethovens “Ode an die Freude” eröffnet. Über dem Stadion schwebt der 246 Meter lange Zeppelin Hindenburg, der ein knappes Jahr später, am 6. Mai 1937, beim Landeanflug in Lakehurst verunglücken wird.
- Nachdem Hitler um 18.16 Uhr die Eröffnungsfeier verlassen hat, tippt der polnische Botschafter Józef Lipski den belgischen IOC-Präsidenten Henri de Baillet-Latour an und flüstert ihm zu: “Wir müssen auf der Hut sein vor einem Volk, das so organisieren kann. Eine Mobilmachung in diesem Land wird genauso reibungslos verlaufen.”
Lipski ahnt vermutlich nicht, wie recht er hat. Und wie schnell alles kommen wird.
März 1936: “Winterübung”
Lipskis Bemerkung kommt nicht von Ungefähr, denn das “Dritte Reich” hat das Spiel mit dem Feuer nur wenige Monate vor dem Beginn der Olympiade entzündet: Zum Entsetzen Großbritanniens und Frankreichs hatte Hitler am 7. März 1936 das erste Mal seine Wehrmacht in Marsch gesetzt und das entmilitarisierte Rheinland besetzen lassen.
- Zu dieser entmilitarisierten Zone gehören Städte wie Düsseldorf, Köln, Frankfurt, Mannheim, Karlsruhe und Freiburg westlich des Rheins sowie 50 Kilometer östlich. Städte und Gebiete gehören zwar zu Deutschland, aber der Versailler Vertrag verbietet es Deutschland, dort Truppen zu stationieren oder Befestigungsanlagen zu bauen, um die Gefahr eines neuen Krieges zwischen den beiden “Erbfeinden” Deutschland und Frankreich zu verhindern.
Das ändert das NS-Regime mit der Operation “Winterübung” im März 1936.
30.000 Wehrmachtssoldaten überqueren die Rheinbrücken, beziehen Posten an den Grenzen zu Belgien, Luxenburg und Frankreich und errichten in Aachen, Trier und Saarbrücken Garnisonen.
- Denn für sein Ziel, die “Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung”, braucht Hitler freie Bahn im Westen. Zumindest keine Franzosen, die ihm in den Rücken fallen könnten. Das Rheinland hat für seine Pläne eine enorm wichtige strategische Bedeutung.
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- Der Zeitpunkt dieser “Winterübung” ist geschickt gewählt; Hitler nutzt das allgemeine politische Chaos in Frankreich aus und den Clinch zwischen Briten und Franzosen, denn das französische Parlament hatte wenige Tage zuvor einen französisch-sowjetischen Beistandspakt ratifiziert.
Über diesen Pakt ist Großbritannien nicht erfreut — und gibt Hitler die Möglichkeit zu erklären, er fühle sich dadurch bedroht, zudem sei der Pakt ein Bruch des Vertrags von Locarno. Dass er mit dem Einmarsch seiner Truppen ins Rheinland selbst einen doppelten Vertragsbruch begeht und sowohl gegen den Vertrag von Versailles als auch von Locarno verstößt, sagt er nicht.
- Die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands bleibt ein Spiel mit dem Feuer, denn Ende 1935 stehen den 400.000 Soldaten der Wehrmacht immer noch eine Überzahl an 650.000 französischen Soldaten gegenüber; die französische Luftwaffe ist mit 112.000 Männern sechs Mal größer als die deutsche.
Für Frankreich ist der Einmarsch deutscher Truppen ins Rheinland ein Kriegsgrund, für Großbritannien nicht. Der einflussreiche britische Appeasement-Politiker Lord Lothian vertritt die Meinung, die Deutschen gingen ja „nur in ihren eigenen Hintergarten“. Viele seiner Landsleute stimmen ihm zu.
Um das Flottenabkommen 1935 und das bessere Verhältnis zum “Reich” nicht zu gefährden, nimmt Großbritannien den Einmarsch Deutschlands in seinen „Hintergarten“ schließlich hin. Paris, London und der von ihnen alarmierte Völkerbund können sich nicht einmal auf Wirtschaftssanktionen einigen.
“Wären die Franzosen damals ins Rheinland eingerückt”, wird Hitler später sagen, “dann hätten wir uns mit Schimpf und Schande wieder zurückziehen müssen”.
Am 29. März 1936, drei Wochen nach der Besetzung des Rheinlands, kommt die NSDAP bei der Reichstagswahl auf erstaunliche 99 Prozent der Wählerstimmen.
Die Wahl ist manipuliert — und es gibt im “Reich” seit 1933 außer der NSDAP keine anderen Parteien mehr. Dennoch: Hitler ist so populär wie nie zuvor, was man nicht zuletzt am Jubel der Menschen bemerkt, sobald er das Olympiastadion betritt.
August 1936: “Feuerzauber”
Am zweiten Wettkampftag der Olympiade, es ist Sonntag und mit Bewölkung, leichten Regenfällen und 19 Grad leider kein “Hitler-Wetter”, gibt der “Führer” den Geheimbefehl für seinen nächsten Coup: die Unterstützung der faschistischen Putschisten in Spanien.
Das “Unternehmen Feuerzauber” beginnt. Obwohl der “Führer” mit Spanien eigentlich nichts im Sinn hat, schließlich liegt für ihn der Schauplatz des zukünftigen Krieges im Osten.
Aber ein links regiertes Spanien, das sich möglicherweise wie Frankreich mit der Sowjetunion verbündet, käme ungelegen.
- Denn auch im krisengeschüttelten Spanien paktieren Sozialisten und Kommunisten gegen rechtsnationale und faschistische Kräfte; am 16. Februar 1936 gewinnt die Frente Popular die Parlamentswahlen, eine Einheitsfront aus Sozialisten, Republikanern, liberalen Katalanen, der stalinistische Partido Comunista de España (PCE) und der kommunistische Partido Obrero de Unificación Marxista (POUM).
Hitler entscheidet sich, mit einer “kleinen Lösung” unter Hermann Görings Kommando einzugreifen: ein paar Flugzeuge, ein paar Männer und die Aussicht, seine Kampfpiloten zu trainieren und — weil das “Dritte Reich” ständig klamm ist — Rohstoffe für die Rüstung zu erbeuten.
Hitlers Flugzeuge kommen gerade rechtzeitig, denn der faschistische General Francisco Franco steckt fest.
Es ist gerade zwei Wochen her, seit er und einige seiner Militärs am 17. Juli 1936 in Spanisch-Marokko eine lange geplante Revolte gegen die linke republikanische Volksfrontregierung in Madrid begonnen hat.
Aber nun sitzen Francos Revolutionäre in Marokko fest und wissen nicht, wie sie den Bürgerkrieg ins spanische Mutterland bringen können.
Franco und seine rechte Kamarilla sind fast am Ende, bevor sich Hitler und Mussolini in den Bürgerkrieg einmischen.
Das faschistische Italien schickt 80.000 Soldaten, um die Franquisten zu unterstützen, Hitler die Legion Condor, insgesamt 19.000 Männer bis zum Ende des Krieges.
Ab Anfang August begeben sich deutsche Kampfflieger, Techniker, Navigatoren und Schützen mit ihren zerlegten und in Frachtkisten verstauten Jagdflugzeugen, Flakgeschützen und 100 Tonnen Material auf zivilen Passagierdampfern auf die Reise nach Spanien; Lufthansa-Piloten überführen zehn Ju 52 Transportmaschinen.
Kampf um Spanien
Franco will mit einem Handstreich im Verbund mit Aristokraten, Großgrundbesitzern und der katholischen Kirche die Macht im Land an sich reißen, überschätzt sich aber schwer. Denn auch nachdem er und seine Truppen dank deutscher Hilfe das spanische Mutterland erreichen, läuft vieles anders als erwartet.
- Am 20. Juli 1936 verkündet die linke Volksfront-Regierung in Madrid die Mobilmachung — und anders, als von Franco erhofft, bleiben viele Generäle der Zentralregierung in Madrid treu.
Außerdem beginnt man, Waffen an die Bevölkerung auszugeben. Der Putsch droht im Keim zu ersticken, denn Spaniens reguläre republikanische Truppen sind besser ausgebildet als die der Putschisten, die Zahl der bewaffneten und für die Regierung kämpfenden Republikaner — Arbeiter und die gebildete Mittelschicht — ist groß.
Doch mit der Unterstützung durch Italien und dem “Deutschen Reich” beginnt sich Blatt zu Ungunsten der Zentralregierung in Madrid zu wenden.
Auch die republikanisch Regierung in Madrid bittet im Ausland um Hilfe, bekommt aber keine.
- Zwar fühlt sich die linke Volksfrontregierung in Frankreich den Spaniern politisch und moralisch verbunden, macht sich aber Sorgen, dass der blutige Konflikt zwischen rechts und links vom Nachbarn ins eigene Land schwappen könnte. Schließlich wird die Frage des Eingreifens oder Nicht-Eingreifens von Großbritannien abhängig gemacht.
Die Briten hegen allerdings weder besonders große Sympathien für Republikaner und Linke, noch wollen sie das brüchige Verhältnis zum deutschen “Führer” gefährden. Großbritannien beharrt auf seiner Politik der Nichteinmischung.
Schließlich kommt doch noch unerwartet Hilfe für Spaniens Linksregierung: Nach kurzem Zögern entschließt sich der sowjetische Diktator Stalin in den Bürgerkrieg gegen Francos Putschisten-Armee einzugreifen.
- Ab Ende August 1936 schickt die Sowjetunion Waffen, “Berater” und beginnt - zunächst verdeckt — Freiwilligenverbände aufzustellen. In ganz Europa wirbt die Komintern als Spanien-Komitee des jeweiligen Landes getarnt um Freiwillige, die bereit sind, in den Krieg gegen Franco und die spanischen Faschisten zu ziehen.
Tausende junge Männer und Frauen folgen den Aufrufen: Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, Freiheitskämpfer und Abenteurer; unter ihnen auch Ernest Hemingway und George Orwell und der minderjährige Neffe Winston Churchills. Es ist ein buntgemischtes Völkchen aus vor allem jungen Leuten, die in den Krieg ziehen wollen, um für die Freiheit zu kämpfen.
Stalins Kampf gegen Trotzkisten
Eigentlich ist Stalin der bunte Haufen aus spanischen Republikanern und internationalen Idealisten – inklusive Trotzkisten und Anarchisten – zuwider. Leute wie die lässt er in der Sowjetunion für weitaus geringere „Vergehen“ zu Tausenden verschwinden oder macht mit ihnen kurzen Prozess. Im wahrsten Sinn des Wortes.
Nur drei Tage nach dem Ende der Olympischen Spiele in Berlin beginnt am 19. August 1936 im Oktobersaal des Moskauer Gewerkschaftshauses ein makabres Schauspiel: der erste von insgesamt drei Moskauer Prozessen gegen das „trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum“.
Die Moskauer Schauprozesse ab August 1936 markieren den schaurigen Höhepunkt der „großen Säuberung” Stalins, der sich nach wie vor von Trotzkisten und Feinden umzingelt fühlt.
- Im ersten Schauprozess sind 16 ehemals geachtete sowjetische Politiker angeklagt, darunter viele Wegbegleiter und “Freunde” Stalins.
Ihnen wird vorgeworfen, sich mit Stalins seit 1927 aus der Partei ausgeschlossenen, mittlerweile im Exil in Mexiko lebenden Konkurrenten Leo Trotzki verschworen zu haben, Stalins Ermordung geplant und sich konterrevolutionär betätigt zu haben.
Alle 16 Angeklagten werden zum Tode verurteilt und sofort nach dem Prozessende hingerichtet. (Trotzki fällt 1940 unter mysteriösen Umständen in Mexiko einem Agenten Stalins zum Opfer, der ihn mit einem Eispickel ermordet.)
In Spanien fordert Moskau zwar offiziell die Wiederherstellung der parlamentarischen Republik, beginnt aber gleichzeitig, linientreue Kommunisten möglichst unauffällig auf einflussreiche Posten in der spanischen Verwaltung, bei Polizei und Militär und den Internationalen Brigaden zu platzieren.
- Stalin will mehr als nur Franco und dessen Faschisten aus Spanien vertreiben — er will auch seine eigenen Reihen säubern. Zum einen ist es für ihn eine gute Gelegenheit, den Überschuss an kommunistischen Exilanten — zum Beispiel Emigranten, die vor Hitler aus Deutschland geflüchtet sind — loszuwerden, denn er sieht sie als Risikofaktor an.
In Stalins Visier stehen aber auch ausländische Freiwillige und Anhänger der POUM, zu denen beispielsweise George Orwell und Willy Brandt gehören. In den POUM-Milizen kämpfen Mitglieder trotzkistischer, linkssozialistischer und oppositioneller kommunistischer Gruppen wie der deutschen SAP. Sie sind in den Augen der stalinistischen Kommunistischen Partei Spaniens, PCE, ein anarchistischer Haufen trotzkistischer Verräter; in Stalins Augen eine Tarnorganisation der Faschisten.
Die Situation eskaliert schließlich im Mai 1937, als es in Barcelona zu tagelangen blutigen Straßenkämpfen zwischen moskautreuen Kommunisten und Anhängern der POUM kommt. Viele der von Stalin entsandten sowjetischen “Berater” sind nicht im Einsatz gegen Francos Armee, sondern auf der Jagd in den eigenen Reihen.
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Guernica
Trotz der vielen Freiwilligen aus aller Herren Länder und ihrer revolutionären Begeisterung sieht es für die Sache der Republikaner nicht gut aus: Am 21. Oktober 1936 erobern Francos Truppen Navalcarnero und stehen damit nur noch 15 Kilometer vor Madrid.
Notgedrungen marschieren die ersten Internationalen Brigaden Anfang November hastig ausgebildet an die Front. Und obwohl Francos Truppen massiv durch Deutschland und Italien unterstützt werden und trotz einer zahlenmäßigen Überlegenheit von 3 zu 1, gelingt es, sie kurz vor Madrid zu stoppen..
Die spanische Hauptstadt ist eingekesselt, kann aber gehalten werden und fällt nicht in die Hände der Putschisten. Die republikanische Regierung flieht nach Valencia.
- Am 26. April 1937 bombardiert die deutsche Legion Condor die baskische Kleinstadt Guernica und richtet ein fürchterliches Blutbad an. Es ist das erste Flächenbombardement einer Stadt in der Geschichte der Menschheit und der Beginn dessen, was wenige Jahre später Millionen Zivilisten als Luftkrieg erleiden müssen.
Aber es sind nicht Gräueltaten wie diese, die die Idee einer antifaschistischen Volksfront scheitern lassen, sondern Stalin und seine Vorstellung, in Spanien nicht nur gegen Franco zu kämpfen, sondern gleichzeitig auch seine Reihen zu “säubern”.
Damit scheitert auch die große Idee einer vereinten Volksfront gegen Hitler endgültig. Münzenbergs illustrer Lutetia-Kreis aus deutschen Exilanten erkennt, dass das Maß an Gemeinsamkeiten nicht für einen gemeinsamen Kampf ausreicht und stellt seine Aktivitäten nach einer verhängnisvollen Oster-Tagung ein.
- In Spanien ordnet die republikanische Regierung im Oktober 1938 den Abzug aller internationalen Brigaden an. Als im November 1938 die Geheimverhandlungen zum Hitler-Stalin-Pakt beginnen, ziehen sich auch die rund 2000 sowjetischen “Militärberater” aus Spanien zurück.
Ende Januar 1939 wird Barcelona in die Hände der Putschisten fallen, Ende März, nach drei Jahren Belagerung, auch Madrid. Mehr als 200.000 Republikaner werden nach Francos endgültigem Sieg am 1. April 1939 von den Nationalisten ermordet.
1936: Der Kampf gegen Hitler ist bereits jetzt gescheitert.
Zwei Wochen nach dem Ende der Olympischen Spiele in Berlin bezeichnet der “Führer” den Krieg um “Lebensraum im Osten” in einer Denkschrift als unausweichlich und ernennt Hermann Göring zum “Beauftragten des Vierjahresplans”, der Deutschland und die Wehrmacht in den kommenden vier Jahren kriegsbereit machen soll.
Copyright: Agentur für Bildbiographien, www.bildbiographien.de, 2024
Lesen Sie im nächsten Beitrag: Deutschland 1937 — das „Dritte Reich“ ist für viele Deutsche ein Art „Wohlfühldiktatur“ mit Vollbeschäftigung und Volksgemeinschaft. Nur die wachsende Angst vor einem möglichen neuen Krieg trübt die gute Stimmung. Zurecht, denn im November 1937 legt Hitler seine Ziele für die kommenden Jahre endgültig fest …
Deutschland 1937: Der Weg in den Zweiten Weltkrieg
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Die ersten 1000 Tage des “Dritten Reiches”
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Berlin 1936: Das 8. Buch der Gereon-Rath-Krimireihe von Volker Kutscher — dieses Mal vor dem Hintergrund der olympischen Sommerspiele, die die Nationalsoziialisten erst murrend aus der ‘Systemzeit’ geerbt haben — um sie dann für ihre Propaganda auszunutzen. Wie in allen anderen Büchern außer Krimi ein spannender Einblick der Extraklasse in die Zeitgeschichte!
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Volker Kutscher, Olympia*, Piper Verlag, November 2020 oder als Audible* (kostenlos im Probemonat)
Winter der Welt” ist der zweite Teil der Jahrhundert-Trilogie
von Ken Follett, indem er sehr spannend den Weg der Welt in den Abgrund des 2. Weltkriegs schildert. Eine großartige Familien-Saga, durch die man die politischen Strömungen, Ängste und Nöte und die Stimmung jener Zeit nachvollziehen und im wahrsten Sinn des Wortes “be-greifen” kann. Lesenswert!
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Alltagsgeschichten aus dem “Dritten Reich” Wie lebte es sich in der NS-Diktatur zwischen “Eintopfsonntag”, Hitlerjugend und Ehestandsdarlehen? Welche Witze erzählte man sich und wie war die Stimmung im “Reich”? Ein spannendes und sehr lesenswertes Buch über den Alltag im Nationalsozialismus.
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Hans-Jörg Wohlfromm, Gisela Wohlfromm, Und morgen gibt es Hitlerwetter! — Alltägliches und Kurioses aus dem Dritten Reich*. Anaconda Verlag, 2017
Was wäre gewesen, wenn … Hitler den Krieg gewonnen hätte und Großdeutschland vom Rhein bis zum Ural reichen würde? Ein großartiges Buch zwischen Fiction, Krimi und vielen historisch ausgesprochen interessanten Fakten.
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https://www.andalusien360.de/magazin/spanischer-buergerkrieg
Bildnachweise:
Berlin, Olympiade 1936. Von Bundesarchiv, B 145 Bild-P017073 / Frankl, A. / CC BY-SA 3.0 de
Photograph of General Franco with winter cloak. / CC-BY-SA 1.0, Gemeinfrei
Berlin, Olympiade, Siegerehrung Fünfkampf Olympische Spiele 1936 Sieger-Ehrung im Fünfkampf auf der Sieger-Tribüne von rechts nach links: Oberleutnant Abba-Italien (II.) Hauptmann Handrick-Deutschland (I.) Leutnant Leonard-USA (III.) Fot. Stempka. Bundesarchiv, Bild 183-G00825 / Stempka / CC-BY-SA 3.0
Stalin und Dimitrow (rechts) in Moskau (1936), Gemeinfrei
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ADN-ZB/Archiv Nationalrevolutionärer Krieg des spanischen Volkes vom 18.7.1936 bis 2.4.1939/ Internationale Brigaden
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Die Ruinen von Guernica. Das von der Legion Condor zerstörte Gernika. Von Bundesarchiv, Bild 183-H25224 / Unbekannt / CC BY-SA 3.0 de