Hitler und die Briten: In den 1930er Jahren wirbt der „Führer“ für ein deutsch-britisches Bündnis und ganz abgeneigt ist man zumindest in Teilen der britischen Upperclass nicht.
Über blaublütige Hitler-Fans in Großbritannien, die britische Appeasement-Politik und weshalb Beschwichtigung meistens nicht die beste Antwort auf Erpressung ist.
Das britische Establishment hat in den 1930er Jahren große Schwierigkeiten, eine passende Haltung zum Dritten Reich zu finden.
Das liegt unter anderem auch an Hitlers Charme-Offensive, denn nach der „Machtergreifung“ wirbt er hartnäckig für ein umfassendes deutsch-britisches Bündnis.
Die britische Oberschicht – und nur die – ist in seinem Weltbild dem deutschen „Herrenmenschen“ „rassisch“ ebenbürtig.
Außerdem braucht er für sein eigentliches Ziel, den Vernichtungskrieg um „Lebensraum“ im Osten, freundlich gestimmte Briten und keine feindlichen im Rücken. Die Erfahrungen, die das deutsche Kaiserreich im 1. Weltkrieg mit zwei Fronten gemacht hat, waren alles andere als gut.
Hitlers Werben um Großbritannien: Pilgerreisen und ein britischer Ex-König
Ab dem Jahr 1934 finden sogenannte „Pilgerreisen“ statt, britische Adlige, Politiker, Journalisten und Industrielle bereisen auf Einladung des braunen Regimes das nationalsozialistische Deutschland. In Berlin und auf dem Obersalzberg werden sie vom „Führer” persönlich empfangen, umschmeichelt und hofiert, um sie für seine Bündnis-Idee zu erwärmen.
Auf der Insel scheint man zumindest in Teilen der Upperclass nicht völlig abgeneigt zu sein.
Einer der prominentesten blaublütigen Hitler-Fans ist der britische Kurzzeit-König Edward VIII., Urenkel von Queen Victoria und Prinz Albert und ein Onkel der 2021 verstorbenen Queen Elizabeth II.
Gemeinsam mit Gattin Wallis Simpson besucht er 1937 als Duke of Windsor den Berghof.
Zwar findet die Reise erst nach seiner Abdankung als König im Dezember 1936 statt, aber der Besuch wird trotzdem als politisches Statement wahrgenommen. Der königlichen Familie zuhause in Großbritannienl ist not amused und findet Edwards Besuch bei Hitler in etwa so hilfreich wie die Hochzeit mit Wallis. Nämlich gar nicht.
Schon gar nicht, weil sich das Paar neben dem „Führer“ stehend auch noch mit zum „Hitlergruß“ erhobenen Armen fotografieren lässt.

Doch Edwards Schwärmerei für den Faschismus ist möglicherweise viel mehr als eine ärgerliche Anekdote in der an ärgerlichen Anekdoten reichen Geschichte des britischen Königshauses.
In einem 227 Seiten umfassenden Bericht, den das FBI im Auftrag Roosevelts 1941 bei einem Besuch des Dukes und der Duchesse in Florida anfertigte, ist von großen Sympathien des herzoglichen Paars für Hitler und das Dritte Reich die Rede, aber auch von Konspiration und Verrat.
„‘Lebt Winston Churchill noch?
Aus: Robert Harris, Vaterland*
‘Ja. Er ist ein alter Mann. In Kanada. Da lebt er. Auch die Königin.’ Sie nahm seine Verblüffung wahr. ‘Elizabeth fordert die Krone von ihrem Onkel.
‘Und die Juden?’, fragte März. ‘Was haben wir ihnen nach Meinung der Amerikaner angetan?‘
Sie schüttelte den Kopf. ‘Warum tun Sie das?
‘Bitte. Die Wahrheit.’ ”
„Something must be done“
Edward, so heißt es, habe seine erzwungene Abdankung 1936 nie verwunden und fühle sich als verstoßener Paria der königlichen Familie.
Er wäre gerne trotz seiner Hochzeit mit Wallis, einer ziemlich undurchsichtigen und außerdem zweifach geschiedenen Amerikanerin, König geblieben und hat sich keineswegs damit abgefunden, dass er abdanken und mit seiner Braut sogar das Land verlassen musste.
Das Verhältnis zu den Royals ist seitdem mehr als angespannt: Seine Schwägerin Elizabeth Bowes-Lyon, besser bekannt als fröhliche und Gin-trinkende „Queen Mum”, sprach über Wallis beispielsweise zeitlebens nur von „dieser Frau“.
Nach dem Sieg des Dritten Reichs über England, so wird kolportiert, wäre Edward gerne als König von Hitlers Gnaden auf den britischen Thron zurückgekehrt.
Inwieweit er sich das tatsächlich gewünscht hat und ob es Äußerungen gab wie: It would be a tragic thing for the world if Hitler was overthrown („Es wäre eine Tragödie für die Welt, wenn Hitler gestürzt würde“), wird zwar immer wieder behauptet, lässt sich aber nicht schwarz auf weiß belegen.
Fest steht, dass Edward Sympathien für Hitlers Drittes Reich hegte und das offen zeigte.
Das taten in den 1930er Jahren viele seiner Landsleute.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass er ein „moderner König“ sein wollte, wie er in einem BBC-Interview 1969, drei Jahre vor seinem Tod, sagt.
Gemeinsam mit Wallis führt er zwar ein luxuriöses Jet-Set Leben, aber die Belange der Ärmsten und sozial Benachteiligten waren ihm nicht egal.
Während seiner kurzen ungekrönten Regentschaft besucht er die Slums von London und die Kohleminen in Südwales, wo er sieht, unter welchen prekären und oft menschenunwürdigen Bedingungen ein großer Teil seiner Untertanen leben und arbeiten.
Bei einem dieser Besuche entfährt ihm ein „Something must be done“ („Es muss etwas getan werden“), eine Bemerkung, die einem britischen König eigentlich nicht zusteht. Die konservative Regierung ist zutiefst besorgt und man fürchtet, dass Edward sich in die Politik des Landes einmischen könnte, statt sein Amt als König wie es sich gehört neutral als konstitutioneller Monarch auszuführen.
War Edward VIII. ein Verräter – oder ein verhinderter Erneuerer?
Denn genau das ist es, was die Idee des Faschismus in den 1930er Jahren für viele so anziehend macht.
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“Winter der Welt” ist der zweite Teil der Jahrhundert-Trilogie
von Ken Follett, indem er gewohnt faktenreich und sehr spannend den Weg der Welt in den Abgrund des 2. Weltkriegs schildert. Seiner großartigen Familien-Saga kann man auch einzeln wunderbar folgen und die politischen Strömungen und die Stimmung jener Zeit nachvollziehen und im wahrsten Sinn des Wortes “be-greifen”.
Sehr eindrucksvoll und lesenswert in diesem Buch: Die Beschreibung von Mosleys Black-Shirt-Marsch ins Londoner East End im Oktober 1936.
Ken Follett, Winter der Welt: Die Jahrhundert-Saga*, Lübbe; 2014
Aufbruch in die Moderne: Faschismus als Kult
So merkwürdig es heute klingt: Der Faschismus ist in seinen Ursprüngen eine Jugendbewegung.
Er ist das ideologische Sammelbecken für die Jungen, Desillusionierten und Verzweifelten, die das Vertrauen ins bestehende System verloren haben. Weltweit gilt er in den 1920er und 1930er Jahren für viele Menschen als „Aufbruch in die Moderne“.
Mit seinem Jugendkult, der Idealisierung der „Volksgemeinschaft“, dem Versprechen von sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit aller „Volksgenossen“ und der Abkehr von demokratischen Prinzipien, die viele als ungerecht, chaotisch und undurchsichtig wahrnehmen, gilt er als Hoffnung für eine bessere Zukunft.
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Alltagsgeschichten aus dem “Dritten Reich“
Wie lebte es sich in der NS-Diktatur zwischen “Eintopfsonntag”, Hitlerjugend und Ehestandsdarlehen? Welche Witze erzählte man sich und wie kam man mit dem oft sehr seltsamen Gebaren der Nazi-“Größen” zurecht? Ein spannendes und sehr lesenswertes Buch über den Alltag im Nationalsozialismus, über den unsere Groß- und Urgroßeltern oft entweder überhaupt nicht oder nur sehr verklärt gesprochen haben.
Hans-Jörg Wohlfromm, Gisela Wohlfromm, Und morgen gibt es Hitlerwetter! — Alltägliches und Kurioses aus dem Dritten Reich*. Anaconda Verlag, 2017
Nach der “Machtergreifung” 1933 blickt man voller Bewunderung und manchmal auch neidisch auf die scheinbar aufblühende Volksgemeinschaft in Hitlers Deutschland. Freilich ohne die blutigen Kehrseiten und Abgründe zu sehen oder sehen zu wollen.
Die etablierten Kreise besonders in den verbliebenen Demokratien Europas haben dem nicht viel entgegenzusetzen: einen Weltkrieg, in dem eine ganze Genration junger Menschen verheizt worden ist, und eine Weltwirtschaftskrise, die ihnen die Zukunft raubt und sie in bittere Armut stürzt.
Aber nicht nur die Jungen, sondern auch viele Ältere sehnen sich nach einer autoritären „starken Hand“.
Weil sie glauben, dass demokratische Prozesse zu Nichts führen, und weil sie hoffen, wirtschaftlich besser über die Runden zu kommen, wenn ein autoritäres Regime ohne viele Diskussionen durchregiert.
Die 1930er Jahre sind ein Jahrzehnt der Diktaturen: Mehr als die Hälfte aller Europäerinnen und Europäer leben in der „Zwischenkriegszeit“ zwischen 1918 und 1939 in einer Diktatur, die meisten davon stramm rechts bis faschistisch.
Hitler trifft den Nerv vieler Menschen, wenn er von demokratisch gewählten Parlamenten verächtlich als „Quasselbude“ spricht.
Für viele Politiker – auch demokratische – sind die rechten Diktatoren Europas und vor allem das NS-Regime in Deutschland zudem ein „Bollwerk“ gegen die Sowjetunion. Die kommunistische Weltrevolution, die Stalin offensiv und mit Gewalt exportieren will, wird allgemein als größere Bedrohung angesehen.
Auch bei Demokraten gilt Hitler lange Zeit als weitaus weniger gefährlich als Stalin.
Die britische Appeasement-Politik
Es sind aber nicht nur die Nebenwirkungen der „Pilgerreisen“, die vermeintlichen Verheißungen der faschistischen „Volks“-Ideologie oder eine naive Fehleinschätzung der wahren Ziele Hitlers, die dazu führen, dass Großbritannien viele Jahre lang die Augen zudrückt, wegsieht und hofft, den „Führer“ irgendwie zu beschwichtigen, indem man ihm gibt, was er verlangt.
Appeasement gegenüber den immer maßloser werdenden Forderungen des „Führers“ hat vor allem ein Ziel: Einen neuen Krieg verhindern, koste es, was es wolle.
Denn auch die Briten sind kriegsmüde und haben das Trauma des 1. Weltkriegs noch längst nicht überwunden.
Ihre einst stolze Flotte und die britischen Streitkräfte sind in einem erbärmlichen Zustand. Die Staaten des Commonwealth wollen auf gar keinen Fall in einen neuen bewaffneten Konflikt hineingezogen werden; viele kämpfen stattdessen für ihre Unabhängigkeit. Und das britische Mutterland befindet sich Mitte der 1930er Jahre wie der Rest der Welt immer noch im Würgegriff von Deflation, Massenarbeitslosigkeit und bitterer Armut in weiten Teilen der britischen Klassengesellschaft.
Ähnlich ergeht es den Franzosen, die tief gespalten und wirtschaftlich noch lange nicht auf dem Weg der Besserung sind.
In Abwesenheit einer eigenen Idee, wie man mit der Bedrohungslage aus Deutschland umgehen könnte, hängt man sich an Großbritannien und macht das, was man dort für gut und richtig befindet.
Das Dritte Reich dagegen scheint sich nach Hitlers Machtergreifung 1933 wirtschaftlich wie ein Phönix aus der Asche zu erheben.
Was niemand sieht (oder sehen will), ist, dass das deutsche Wirtschaftswunder nichts anderes ist als die heraufziehende Götterdämmerung eines neuen Weltkrieges.
Mit Zuckerbrot und Peitsche: Wie Hitler die Welt erpresste
Unter dem Deckmäntelchen von Autobahnbau und den „Arbeitsschlachten“ glücklicher Volksgenossen wird die Rüstungsindustrie hochgefahren und die Staatsverschuldung in schwindelerregende Höhen geschraubt.
Hitler und seine Getreuen zünden ein Wirtschaftswachstum und Jobwunder, auf das viele andere Staaten neidisch sind.
Was so gut wie niemand weiß: Der Phönix aus der Asche ist auf ungedeckten Mefo-Wechseln und heimlichen Kriegsvorbereitungen gebaut.
Ökonomisch steht das Dritte Reich ab 1936 mit dem Rücken so schmerzhaft zur Wand, dass es wehtut, und kann auch nicht mehr zurück. Den Deutschen geht es wirtschaftlich so gut wie nie zuvor, ihr Reich steht kurz vor der Pleite. So viel ist klar: Das Regime wird wirtschaftlich nur überleben, wenn es in absehbarer Zeit Krieg gibt.
Den bereiten Hitler uns sein braunes Regime mit Erpressung und politischen Nadelstichen Schritt für Schritt vor. Und stoßen dabei – Appeasement sei Dank – auf bemerkenswert wenig Widerstand.
„‘Der Weg zur Hölle‘, sagt das Sprichwort, ‘ist mit guten Vorsätzen gepflastert.‘
Aus: Ian Kershaw, Höllensturz: Europa 1914 bis 1949*
Freundlicher lässt sich nicht bewerten, wie die westlichen Demokratien versuchen, mit Hitler umzugehen. Ihre fehlgeleiteten Versuche, Deutschlands expansionistischen Drang entgegenzutreten, verschafften Hitler die Möglichkeit, Ereignisse zu diktieren, auf die sie nur kraftlos reagieren konnten.
Auf ihre Zugeständnisse antwortete er wie ein Erpresser, er verlangte mehr. Das übrige Europa schaute immer ängstlicher zu.
Überall wurden Vorbereitungen auf einen Krieg getroffen, der sehr gefürchtet, doch mehr erwartet wurde.“
März 1936: Einmarsch ins entmilitarisierte Rheinland
Im März 1936 überqueren 30.000 Wehrmachts-Soldaten die Rheinbrücken und errichten Garnisonen in Aachen, Trier und Saarbrücken. Es ist ein doppelter Vertragsbruch, denn sowohl im Vertrag von Versailles als auch von Locarno ist das Rheinland als entmilitarisierte Zone festgeschrieben.
Für Frankreich eigentlich ein Kriegsgrund. Der einflussreiche britische Appeasement-Politiker Lord Lothian vertritt dagegen die Meinung, die Deutschen gingen ja „nur in ihren eigenen Hintergarten“. Viele Briten stimmen ihm zu.
1935 war ein britisch-deutsches Flottenabkommen ausgehandelt worden, in dem das Verhältnis der Flotten auf 35 (Deutschland) zu 100 (Großbritannien) festgelegt wurde. Für Großbritannien bedeutete dieses Abkommen Entspannung für die angespannte Haushaltslage, denn ein ruinöses Wettrüsten mit dem Dritten Reich konnte sich niemand leisten. Um das verbesserte Verhältnis zu Deutschland nicht zu gefährden und wegen der verbreiteten Antikriegsstimmung in der Bevölkerung, nimmt Großbritannien den Einmarsch Deutschlands in seinen „Hintergarten“ in Kauf.
Juli 1936: Beginn des Spanischen Bürgerkriegs
Als im Juli 1936 in Spanien konservative Generale unter Führung von General Francisco Franco eine faschistische Revolte gegen die links-republikanische Volksfrontregierung anzetteln, wird der Putsch von den Achsenmächten Deutschland und Italien offen unterstützt.
Nach kurzem Zögern entschließt sich Stalin, in den Bürgerkrieg gegen Francos Putschisten-Armee einzugreifen. Ende August 1936 beginnt man — zunächst verdeckt — Freiwilligenverbände aufzustellen. In ganz Europa wirbt die Komintern als Spanien-Komitee des jeweiligen Landes getarnt um Freiwillige, die bereit sind, in den Krieg gegen die spanischen Faschisten zu ziehen.
Tausende junge Männer und Frauen folgen den Aufrufen: Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, Freiheitskämpfer und Abenteurer; unter ihnen auch Ernest Hemingway und George Orwell. Und der minderjährige Neffe Winston Churchills.
Die Briten entscheiden sich dagegen, der legitimen und gewählten Regierung in Madrid zur Hilfe zu kommen. Der Spanische Bürgerkrieg, der erste Stellvertreter-Krieg zwischen den Achsenmächten Deutschland und Italien und dem Rest der Welt, muss ohne sie auskommen. Erstens hegen sie keine Sympathien für Republikaner und Linke, zweitens sind sie nicht bereit, sich auf ein militärisches Wagnis gegen Hitler einzulassen.
März 1938: Der Anschluss Österreichs
Der „Anschluss Österreichs“ im März 1938, ebenfalls ein Bruch des Versailler Vertrags, wird wegen der nicht vorhandenen österreichischen Gegenwehr als innere Angelegenheit des Deutschen Reichs nach den üblichen Protestnoten achselzuckend zur Seite gelegt.
Sommer 1938: Die “Sudetenkrise”
Brenzliger wird es, als Hitler im Frühjahr und Sommer 1938 mit Hilfe seiner Marionette Konrad Henlein die „Sudetenkrise“ anheizt. Der „Fall Grün“, Hitlers unabänderlicher Entschluss, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen – möglichst ohne Konflikt mit Großbritannien – liegt seit dem 30. Mai 1938 auf dem Tisch und soll am 1. Oktober von der Wehrmacht vollzogen werden.
Als sich die Krise zuspitzt, besteigt der fast 70jährige britische Premier Neville Chamberlain in dunklem Gehrock, „Vatermörder-Kragen“ und dem unvermeidlichen Regenschirm das erste Mal in seinem Leben ein Flugzeug, reist auf den Obersalzberg und erklärt Hitler, er könne das Sudetenland haben, allerdings in geregelter Form und unter internationaler Kontrolle.
Kein britischer Soldat solle für die Tschechoslowakei, „eine Verbindung von Fetzen und Flicken“, sterben.
Nach einigem Hin und Her verständigt man sich schließlich im „Münchener Abkommen“ ohne Beteiligung eines tschechoslowakischen Vertreters auf die Amputation der Tschechoslowakei: Deutschland erhält rund 20 Prozent ihrer Fläche, weitaus mehr als das Sudetenland, die Wehrmacht rückt am 1. Oktober 1938 ein.
Dies sei nun die letzte Forderung, die er zu stellen habe, behauptet Hitler. Die Deutschen und die ganze Welt atmen auf, der Frieden scheint jetzt ein für alle Mal gerettet zu sein.
„… Daladier schlug erwartungsvoll den Mantelkragen hoch, als er in Paris aus dem Flughafengebäude schritt, wegen möglicher Eierwerfer. Doch starker Beifall kam auf. »Die Idioten«, zischte der französische Regierungschef zu einem Begleiter.“
Aus: SPIEGEL Politik: Der Griff nach dem letzten Grasbüschel
Der Frieden war mit dem Münchener Abkommen 1938 natürlich keineswegs gerettet. Schon ein halbes Jahr später startet der „Führer“ nach altbekanntem Muster seine nächsten Coup inklusive Kriegsandrohung: Die „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ im März 1939.
Nach der völkerrechtswidrigen Besetzung Prags kommt die britische Nachgiebigkeit erstmals ins Wanken. Zumal sich auch in der britischen und französischen Bevölkerung die Stimmung ändert und man nicht mehr bereit ist, jeden Preis für den Frieden zu bezahlen.
Kaum ist die Tschechoslowakei endgültig zerstört, verlangt Hitler, die freie Stadt Danzig, die seit dem 1. Weltkrieg unter dem Schutz des Völkerbunds steht, dem Deutschen Reich zuzuschlagen und außerdem eine extraterritoriale Verbindung zwischen dem Reichsgebiet und Westpreußen (der „Korridor“, der bislang durch polnisches Staatsgebiet führt).
Das ist die eine Forderung zuviel, die das Fass zum Überlaufen bringt.
Großbritannien und Frankreich sehen sich gezwungen, eine klare rote Linie zu ziehen: Sie geben eine Garantie für die Unabhängigkeit und Unversehrtheit Polens ab.
Krieg oder Frieden, so viel ist allen klar, steht jetzt auf Messers Schneide.
Lesen Sie im nächsten Beitrag: Die alliierten Westmächte Frankreich und Großbritannien erklären Hitlers Drittem Reich zwar am 3. September 1939 den Krieg, rühren aber keinen Finger für die bedrängten Polen.
Stattdessen verschanzen sie sich im „Drôle de guerre“, dem komischen Sitzkrieg, wie ein vor Angst erstarrtes Kaninchen in Erwartung der bösen Schlange hinter der Maginot-Linie und streiten weiter darüber, wie man mit dem kriegslüsternden Hitler umgehen soll.
Hitlers Krieg: Größter Feldherr aller Zeiten?
Copyright: Agentur für Bildbiographien, www.bildbiographien.de, 2023
Buch- und Filmempfehlungen:
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Die gewaltigen Turbulenzen in der europäischen Geschichte von 1914 bis 1949 meisterhaft, fundiert und fesselnd vom britischen Historiker Ian Kershaw erzählt.
Mit vielen Hintergründen und Aspekten, die wenig bekannt sind. Lesenswert!
Ian Kershaw, Höllensturz: Europa 1914 bis 1949*. Pantheon Verlag, 2017
Berlin im April 1964,
wenige Tage vor dem 75. Geburtstag Adolf Hitlers: Kriminalkommisar Xaver März wird zu einem mysteriösen Mordfall gerufen. Nazi-Deutschland hat den Krieg gewonnen und Großdeutschland beherrscht Europa vom Rhein bis zum Ural. Ein Horror-Szenario — und das Setting für einen hervorragenden Polit-Thriller zwischen Fiction, Krimi und Geschichte. Absolut lesenswert!
Robert Harris, Vaterland*. Heyne Verlag, 2017
Die Biographien von Unity Mitford, Pola Negri, Rudolf Höß und vieler anderer Zeitzeugen zusammengefasst in neuen und alten Bildern, die die Zwischenkriegszeit zwischen 1918 und 1939 zum Leben erwecken. Kein Historiker aus dem Off erklärt Geschichte, sondern Spielszenen und mit bislang unveröffentlichtem Original-Filmmaterial erklären die Zeit, das Lebensgefühl, Träume und Schicksale der Menschen, die in dieser Zeit lebten. Sehr sehenswert!
Krieg der Träume 1918–1939 [3 DVDs]*, 2018, FSK 12
Der BBC-Journalist Tim Marshall
mit einem spannenden Blick durch die “Geographie-Brille” hinter die Kulisse von Geschichte und Weltpolitik.
Er beschreibt spannend und sehr lesenswert die Zusammenhänge, historischen Entwicklungen und auch mögliche kommende Szenarien der Weltgeschichte. Ein ‘Must-Read’ für alle, die sich für Geschichte und Politik interessieren — auch im Jahr 2023, in dem einiges, was Marshall in diesem Buch prognostiziert, (leider) eingetreten ist …
Tim Marshall, Die Macht der Geographie*
dtv Verlagsgesellschaft, 2017
Die Welt zu Gast bei Freunden …?
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Sehr lesenswert bzw. auch als Podcast sehr hörenswert!
Volker Kutscher, Olympia*, Piper Verlag, November 2020
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Konrad Henlein — Biedermann oder Brandstifter?
Nach der Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 ist Großbritannien Hitlers einziger verbliebener Kriegsgegner. Im August 1940 beginnt die Luftschlacht um England, mit der die widerspenstigen Briten zum Einlenken gezwungen werden sollen.
Aber Hitler verliert diese Schlacht. Er scheitert an Winston Churchill und dem Widerstandswillen der britischen Bevölkerung.
Hitlers Krieg 1940: Luftschlacht um England
Bildnachweise:
The Duke and Duchess of Windsor photographed with Mr. Hitler, 22 October 1937, during their visit to The Berghof, his country house in Berchtesgaden“
By Unknown author — Le Nouvelliste d'Indochine, 14 novembre 1937 Gallica, Public Domain
Die Sudetenkrise:
SPIEGEL Politik: Der Griff nach dem letzten Grasbüschel