Sir Oswald Mosley, seines Zeichens Erbe und 6. Baronet, hat nicht nur Schlag bei den Frauen, sondern zeichnet sich vor allem auch durch seine wechselnden politischen Einstellungen und – damit verbunden – einer abwechslungsreichen Berufskarriere aus. Nachdem er in Großbritannien allen demokratischen Parteien angehört hat, gründet er 1932 schließlich die faschistische ‘BUF’ und versucht sich als britische Ausgabe Adolf Hitlers.

Wie viele andere junge Männer seiner Generation ist Oswald Mosley ein Gestrandeter des Jahres 1918.
Nachdem er einen Flugzeugabsturz mit einer schweren Beinverletzung überlebt hat, kehrt er mit knapp 20 Jahren als Invalide aus dem 1. Weltkrieg zurück und beschließt, Politiker zu werden.
Sein Glück findet er zunächst bei den Konservativen, für die er 1918 mangels ernsthafter Konkurrenz mühelos beim ersten Anlauf einen Sitz im Unterhaus gewinnt.
Mosley macht sich trotz seiner Jugend schnell einen Namen als glänzender Redner und selbstbewusster Politiker. Aber nach nur zwei Jahren Parlamentsarbeit zerstreitet er sich mit seiner Partei.
Danach drückt er für kurze Zeit als unabhängiger Abgeordneter die Oppositionsbank, wendet sich dann aber der Konkurrenz der Konservativen, der sozialdemokratischen Labour Partei, zu.
Doch weder seine 1920 geschlossene Ehe mit Lady Cynthia, die zweitälteste Tochter des ehemaligen Vizekönigs von Indien, Lord Curzon, noch seine politische Karriere haben Bestand.
Cynthia bekommt Konkurrenz durch Diana, einer Schwester Unity Mitfords und die klassische Schönheit der Familie, und auch die Liason mit Labour endet im Zerwürfnis.
Mosley ist ehrgeizig und immer ungeduldig. Innerhalb Labours schafft er einen kleinen Aufstieg, aber nach der Wahl 1929 wird er nicht wie erhofft Minister in einem wichtigen Ministerium, sondern lediglich zum ‘Minister ohne Geschäftsbereich’.
Das kränkt ihn zutiefst.

Als dann 1931 auch noch sein radikales Wirtschaftsprogramm – das „Mosley Memorandum“ – von der großen Mehrheit der Partei abgelehnt wird, kehrt er auch Labour den Rücken und gründet mit der „New Party“ seine eigene Partei.
Wie alle anderen Länder der Welt wird auch Großbritannien von der Weltwirtschaftskrise 1929 schwer gebeutelt:
…“Die Regierung beharrte auf der finanzpolitischen Orthodoxie, und die verlangte einen ausgeglichenen Haushalt.
Noch steckten Theorien über unorthodoxe Maßnahmen gegen die Rezession, die Defizitfinanzierung etwa, in den Kinderschuhen. Keynes, der, peinlich genug, kurz nach dem Crash an der Wall Street vorausgesagt hatte, das werde für London keine ernsthaften Konsequenzen haben, die Aussichten seien vielmehr entschieden positiv, hatte seine Theorie antizyklischer Wirtschaftspolitik noch nicht abgeschlossen.
Als die Krise einsetzte war es Oswald Mosley, der das ambitionierteste Modell einer geplanten Wirtschaft vorlegte; er wollte Wachstum durch Kreditaufnahme finanzieren.Seinen unbestreitbaren Fähigkeiten entsprachen seinen Ambitionen, seine Ungeduld und seine Heimatlosigkeit …”
Aus: Ian Kershaw, Höllensturz: Europa 1914 bis 1949*
Vom Duce das Siegen lernen
Mosleys „New Party“ zeigt schon deutliche Ähnlichkeiten zur deutschen NSDAP und hat mit der dazugehörigen „Active Force“ sogar eine parteieigene Schlägertruppe.
Aber trotz der faschistoiden Raubkopie und trotz der andauernden Weltwirtschaftskrise, die die Briten ebenso hart getroffen hat wie ihre europäischen Nachbarn auf dem Kontinent, hat sie keinerlei Erfolg.
Bei den Wahlen zum britischen Unterhaus im Jahr 1931 bekommt die „New Party“ keinen einzigen Sitz.
Mosley zieht aus der peinlichen Niederlage schnell seine Konsequenzen, löst seine Partei noch am Wahlabend auf und flüchtet nach Italien, um vom damaligen Star der faschistischen Bewegung, Benito Mussolini, persönlich das Siegen zu lernen.
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Inspiriert, voller Tatendrang und vollends zum Faschismus bekehrt, kommt Mosley aus Italien zurück und schafft es im Oktober 1932, alle britischen rechtsextremen Splitterparteien unter dem Dach der „BUF“ (British Union of Fascists) zu vereinen.
Vom europäischen Festland hat er dafür das komplette faschistische Programm mitgebracht: die straffe Parteiführung, das Gedanken- und Liedgut, die Schwarzhemden („Blackshirts“) der SS als Parteiuniform bis hin zum „Hail Mosley“ inklusive des „deutschen Grußes“.
Er selbst lässt sich ab sofort als „Leader“ ansprechen.
Hail Mosley
Die Maßnahmen des neuen “Leaders” zeigen schnell Wirkung: Die Tageszeitung Daily Mail unterstützt die BUF mehr oder weniger offensichtlich und innerhalb kürzester Zeit hat die neue Partei nach eigenen Angaben rund 50.000 Mitglieder, die sich ihnen enthusiastisch anschließen.

Neben seinen politischen Aktivitäten findet Mosley auch immer noch Zeit, seinem Ruf als Frauenheld gerecht zu werden — unter anderem werden ihm Affären mit der Schwester seiner Frau und deren Stiefmutter nachgesagt.
Als Diana Guinness, eine Schwester von Unity Mitford, für ihn ihren Ehemann, den millionenschweren Erben des Bier- und Whiskyimperiums Bryan Guinness, sitzenlässt, um seine Geliebte zu werden, ist der Skandal perfekt und erschüttert die britische High-Society vermutlich mehr als die bittere Armut der meisten ihrer Landsleute infolge der Rezession.
An eine Trennung von Gattin Cynthia („Cimmie“) denkt Mosley nicht im Traum, schließlich ist sie nicht Irgendwer, sondern die zweitälteste Tochter des ehemaligen Vizekönigs von Indien, Lord Curzon.
Sein Schwiegervater ist reich und hat ungeheuer großen Einfluss.
Was aber schwerer wiegt, ist, dass bei seiner Hochzeit mit Cimmie im Jahr 1920 fast der gesamte europäische Hochadel einschließlich vieler Mitglieder des englischen Königshauses zu den Gästen zählten.
Das verpflichtet.
Als seine Frau im Mai 1933 nach einer Operation an einer Bauchfellentzündung stirbt, heiratet er Diana trotzdem nicht, sondern stürzt sich stattdessen in Affären mit anderen Frauen.
Erst drei Jahre später, im Oktober 1936 nachdem seine BUF gescheitert und in Auflösung begriffen ist, heiraten er und Diana heimlich im Berliner Büro Joseph Goebbels’. Außer den Trauzeugen und dem Standesbeamten sind nur Hitler und Goebbels anwesend.
Hitler schenkt dem jungen Paar zur Hochzeit ein Porträt von sich in einem silbernen Rahmen.
1936 — das Jahr des Scheiterns
Trotz aller Anstrengungen gewinnt Mosleys brauner Ableger nie den gleichen Schwung wie die faschistischen Schwester-Parteien auf dem Kontinent. Die Briten sind nur schwer für rechtsextremes Gedankengut zu begeistern.
Es wird viel BUF-Krawall gemacht, doch selbst in den Londoner Slums mag sich die Mehrheit der Menschen den Protestmärschen gegen Juden und Kommunisten nicht anschließen.
Trotz der katastrophalen Verarmung der britischen Mittel- und Unterschicht als Folge der Weltwirtschaftskrise bleibt die Mehrheit der Briten ihren alten demokratischen Wurzeln treu.
Nach einer Massenschlägerei auf einer Großveranstaltung im Juni 1934 verliert Mosleys BUF den größten Teil ihrer Anhänger und schrumpft bis 1936 auf eine im Vergleich winzige Truppe von 8.000 Unentwegten.
Der britische Flirt mit dem Nationalsozialismus ist beendet. Mosley hält sich einige Zeit lang in Deutschland auf, kehrt aber zu Beginn des Krieges in seine Heimat zurück, wo er bis Kriegsende interniert wird.
Copyright: Agentur für Bildbiographien, 2018 (überarbeitet 2019)
Lesen Sie im nächsten Beitrag:
Die letzten freien Wahlen am 6. November 1932 besiegeln das Schicksal
der Deutschen. Es ist aber nicht das Wählervotum, das den roten Teppich
für Adolf Hitler ausrollt, sondern das katastrophale Agieren von mehr
oder minder demokratischen Politikern, die mit einer Mischung aus
Ignoranz, Dummheit und Selbstsucht die erste Demokratie auf deutschem
Boden gegen die Wand fahren.
1932 — Das Ende der Republik. Brüning, der Hungerkanzler
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Weiterführende Beiträge:
Unity Mitford I: Unity Valkyrie Mitford ist in den 1930er Jahren eines der angesagtesten „It-Girls“ der feinen Londoner Gesellschaft, verwandt mit jedem, der in Großbritannien Rang und Namen hat. Sie ist schön, exzentrisch und wild, wird zur glühenden Faschistin und fasst den Plan, Adolf Hitler kennen zu lernen. Ihr Plan gelingt, aber Hitlers „Gunst“ stürzt auch sie – wie viele andere — ins Verderben.
Vom It-Girl zur Walküre
Unity Mitford II: „Wir nannten sie die dänische Kuh, weil sie so groß, stark und dumm war.“ Unity Mitford und Adolf Hitler: Das It-Girl begleitet den “Führer” so oft, dass sie von Hitlers Adjutanten “Mitfahrt” genannt wird. Ein deutsch-britisches Techtelmechtel mit Folgen?
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Hitler Biographie: Der Werdegang Adolf Hitlers vom geprügelten Sohn eines „erziehenden“ Vaters und einer liebevollen, aber schwachen Mutter zu einem der grausamsten Diktatoren der Menschheit.
Vom verborgenen zum manifesten Grauen: Kindheit und Jugend Adolf Hitlers
1929: Tatsächlich ist der „Schwarze Freitag“ ein Donnerstag. Am 24. Oktober 1929 beginnen an der New Yorker Wall Street die Aktienkurse zu rutschen. Gegen Mittag wird aus Nervosität Panik, der Dow Jones sackt ab, der Handel bricht mehrmals zusammen. Der Crash wird schließlich zur Wirtschaftskrise, als jeder versucht zu retten, was noch zu retten ist — egal, zu welchem Preis.
Der Schwarze Freitag: Vom Börsenkrach zur Weltwirtschaftskrise
Die Briten und ihr Parlament: Großbritannien ist die älteste Demokratie in Europa. Über die Wurzeln des britischen Parlamentarismus und seine manchmal skurrilen Auswirkungen auf die Weltgeschichte. Von einst — nicht von heute!
Szenen einer arrangierten Ehe
Das Generationengespräch über ein Jahrhundert mit Diktaturen, Weltkriegen, Millionen Kriegstoten, Verletzten, Flüchtlingen und Vertriebenen, das uns heute noch in den Knochen steckt.
Das 20. Jahrhundert
Bildnachweise:
British politician Sir Oswald Ernald Mosley, 6th Baronet (1896–1980) and Lady Cynthia, née Cynthia Blanche Curzon (1898–1933), on their wedding day. By George Grantham Bain Collection (Library of Congress) [Public domain]Bundesarchiv_Bild_183-1987–0410-501, Nürnberg, Reichsparteitag, SA-Aufmarsch. Licensed under CC BY-SA 3.0