Wenn emotionale Wunden nicht heilen: Warum Ben Affleck nicht glücklich werden wird und weshalb wir uns in einer Krise lieber auf uns selbst und nicht auf Sündenböcke konzentrieren sollten.
Der Schauspieler Ben Affleck plauderte vor Kurzem in einem bekannten amerikanischen Podcast, der Millionen Hörerinnen und Hörer erreicht (auch seine Kinder) aus seinem privaten Nähkästchen.
Er bekannte, dass er sich in seiner Ehe mit der Schauspielerin Jennifer Garner wie in einer Falle gefühlt habe und dass das der Grund für seine Alkoholsucht gewesen sei. (Das YouTube-Video hier.)
Sein Tagesablauf habe darin bestanden, eine Flasche Scotch zu leeren und auf dem Sofa einzuschlafen. Er würde heute noch trinken, hätte diese Ehe fortbestanden.
Glücklicherweise kam eine neue Jennifer – Lopez – vermutlich auf einem Schimmel vorbeigeritten und hat ihn von Couch, Scotch und der alten Jennifer befreit.
Armer Ben Affleck! Was für ein bedauernswerter Mann!
Mit seinem Podcast-Geständnis liegt die Schuldverteilung für das Scheitern seiner Ehe öffentlichkeitswirksam für jeden, den es interessierte, klar auf der Hand: Auf der eine Seite der arme, hilflose Ben, dem nichts anderes übrigblieb, als auf der Couch zu liegen und zu trinken, auf der anderen Seite die Ex, die ihm quasi die Flasche in den Hals gesteckt hat.
Böse Ehefalle. Oder?
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Schuldzuweisungen und Sündenböcke
Ganz offensichtlich war der hilflose Ben nicht in der Lage, sich vom Sofa zu erheben, die Scotch-Flasche beiseite zu legen und mit seiner damaligen Jennifer über seinen Ehefrust zu sprechen, sich Hilfe zu suchen oder die schmerzhafte Entscheidung zu treffen, sich von Frau und Kindern zu trennen.
Stattdessen schiebt er die Verantwortung für sein Trinken sehr ungalant seiner ehemaligen Frau in die Schuhe, wenn wir mal davon ausgehen, dass die ihn weder ans Sofa gefesselt noch ihm den Alkohol gewaltsam eingeflößt hat.
Alles in allem ist es ein ziemlich giftiges Verantwortungspäckchen, das er mit seiner Podcast-Beichte seiner Ex (und Mutter seiner Kinder) zu überreichen versucht.
- Haben wir nicht alle mal gelernt, dass wir auch im verheirateten Zustand in erster Linie selbst für unser Glück und unser Tun verantwortlich sind?
Mit der gleichen Logik müsste man die Ehefrau und nicht den Ehemann anklagen und ins Gefängnis stecken, wenn der Gatte voller Verzweiflung eine Bank ausraubt, weil sie ihn immer vollgejammert hat, dass kein Geld da ist, um sich etwas Neues zum Anziehen zu kaufen. (Das Gleiche gilt natürlich auch, wenn er jammert und sie die Bank ausraubt.)
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Schuld sind immer die anderen?
In einer Krise ist es verlockend, den anderen schuldig zu sprechen und sich selbst moralisch überlegen zu fühlen. Im ersten Moment des Schmerzes kann es sogar eine sinnvolle Strategie sein, sich einen Sündenbock zu suchen und die Verantwortung für alles abzuwälzen, um sich und seine Seele zu schützen.
Aber langfristig hilft diese Haltung niemandem weiter.
Um später wieder vertrauen und ein glückliches Leben führen zu können, muss die Wunde heilen.
- Das geht nicht ohne ehrliches Aufarbeiten der Ursachen für die Krise – ohne zu beschönigen und zu verleugnen –, um dann irgendwann einen Haken darunter setzen zu können.
Die Schuldzuweisung ist zunächst wie Balsam für die Seele.
Aber es ist ein Balsam mit Verfallsdatum, denn mit der Zeit kippt er um und nimmt dann Geschmack und Qualität von sauergewordener Milch an. Auf Dauer können Schuldzuweisungen und Sündenböcke unser zukünftiges Glück ziemlich in Mitleidenschaft ziehen.
- Sollte der hilflose Ben nicht noch einmal in sich gehen und sich eingestehen, dass die Ursache für seine Alkoholabhängigkeit weder bei seiner Ex-Jennifer noch in der Ehefalle zu suchen ist, sondern in seiner Neigung, sich Probleme und innere Zerrissenheit schön zu trinken, ist die Gefahr groß, dass er bei der nächsten Krise – mit der neuen Jennifer oder einer anderen – wieder mit einer Flasche Scotch auf dem Sofa landet.
Mit der Ex-Gattin als Sündenbock redet er sich fein raus, anstatt seine Sofa-Krise zu nutzen, um seine tatsächlichen Lebensthemen zu erkennen und anzugehen.
Kann man machen, hilft aber langfristig nicht weiter.
Denn man nimmt sich ja immer mit in neue Lebensphasen und Beziehungen …
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Die Bösewichte in unserer Geschichte
Niemand geht fröhlich durch eine Lebenskrise, aber wenn sie da ist, können wir entweder an ihr verzweifeln oder unseren ganzen Mut zusammennehmen, um mehr über uns, unsere Stärke, unsere Ziele und unsere Werte zu lernen.
- Wer klug ist, nimmt eine Enttäuschung zum Anlass und beginnt mit der Revision seiner eigenen Geschichte.
Jetzt geht es darum, mit dem zu arbeiten, was auf dem Tisch liegt, sein Leben neu auszurichten und zu gestalten. Sicherlich mit Wehmut, dafür aber ohne (Selbst-) Täuschung. Das ist der Moment, in dem Menschen über sich hinauswachsen, um ihr eigenes Glück zurückzuerobern.
Das bedeutet nicht, Vergeben und Vergessen. Das ist nicht immer möglich, und man sollte sich davor hüten, jemandem zähneknirschend die Hand zu reichen, wenn man innerlich (noch?) nicht dazu bereit ist.
Ein Betrug, eine Kränkung oder vielleicht sogar ein Trauma, das uns zugefügt wurde, darf aber auch nicht unser gesamtes Leben, Fühlen und Denken kapern.
- Wenn wir das zulassen, geben wir uns geschlagen.
Wir opfern uns selbst, weil wir alle anderen Seiten unserer Persönlichkeit – unsere Fähigkeiten, Beziehungen und Stärken, die nichts mit dieser einen Krise zu tun haben – dieser einen Sache unterwerfen und alles andere vernachlässigen.
Aber wir sind doch so viel mehr!
- „Die in der Vergangenheit geschlagenen Wunden durch allzu eifriges Lecken am Heilen hindern“, nennt es der Psychotherapeut Paul Watzlawick in seinen empfehlenswerten Buch Anleitung zum Unglücklichsein*.
Mit Schmerz und Schuldzuweisungen als Dauerzustand verbauen wir uns aber beides: schöne Erinnerungen an glückliche Tage und die Bereitschaft für neue glückliche Erfahrungen.
Trotzdem steckt in jeder Krise auch eine große Chance – für beide Seiten. Aber man muss sie ergreifen.
Wenn wir Krisen für uns nutzen, können sie unserem Leben sogar eine neue (bessere) Richtung zu geben.
- Mit den Steinen, die uns das Leben in den Weg wirft, können wir uns entweder einmauern oder den Weg in eine neue Zukunft pflastern. Wir haben die Wahl, auch wenn wir uns das im ersten Moment einer Krise nicht vorstellen können.
Genau deshalb ist es sinnvoll, sich mit den Schattenseiten und Bösewichten in unserer Geschichte zu beschäftigen und sich beide Seiten dieser Medaillen genau anzusehen.
Das wird Schweiß kosten, auch ein Tränen, aber wenn man es geschafft hat, die dunklen Kapitel seiner Geschichte zu ergründen, winkt am Ende ein großer Gewinn:
- nicht mehr (oder zumindest weniger) wütend, traurig, eifersüchtig oder neidisch sein
- sich nicht mehr als hilfloses Opfer fühlen und deshalb das wunderbare Gefühl der Selbstwirksamkeit verpassen
- die eigenen wunden Punkte kennen und klar benennen können
- mehr Selbstvertrauen durch größeres Selbst-Bewusstsein gewinnen
- dafür sorgen, dass man bei stimmten Themen keine ultrakurze Zündschnur mehr hat und deshalb schnell in die Luft geht oder sich in ein Schneckenhaus zurückzieht
- nicht mehr wie Ben Affleck seinen eigenen Falschmeldungen aufsitzen, was dazu führen kann, dass man Fehler nochmal macht. Der Sündenbock, den man gefunden zu haben glaubt – die „böse“ Ex, die Ehefalle –, ist vielleicht gar nicht der entscheidende Auslöser, sondern etwas anderes, Tieferliegendes in uns
- als Vorbild für andere
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