Die Geschichte mit dem Hammer
Wenn zwischenmenschliche Kommunikation so richtig in die Hose gehen soll, dann weiß man am besten schon im Voraus, was der andere sagen, denken oder meinen könnte.
Wie man sich damit selbst am geschicktesten sabotiert, zeigt uns Paul Watzlawick mit seiner “Geschichte mit dem Hammer” in seiner unvergleichlichen „Anleitung zum Unglücklichsein“.
Der in Kärnten geborene Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut und Philosoph Paul Watzlawick hat mit seinem 1983 erschienenen Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“* einen der besten Anti-Ratgeber geschrieben.
Er legt den psychologischen Finger genau dorthin, wo’s besonders wehtut und Menschen sich selbst über’s Ohr hauen. Seine Anleitungen nicht zu befolgen, ist der erste Schritt zum Glück.
- Ein sehr beliebter Trick, sich selbst und anderen das Leben schwer zu machen, ist, andere Menschen zu interpretieren, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Das klappt bekanntlich am besten, wenn wir unseren Mitmenschen nicht den Hauch einer Chance geben, vor unserer Interpretation irgendetwas zu tun oder zu sagen:
Die Geschichte mit dem Hammer
Ein Mann will ein Bild aufhängen.
Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen.
Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile.
Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte; ICH gäbe es ihm sofort. Und warum nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich.
Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er ‚Guten Tag’ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“
Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein*
Unser Selbstbild bestimmt, was wir wahrnehmen
Aber warum so kompliziert, wenn es doch so viel einfacher wäre, zwischenmenschlichen Kollisionen aus dem Weg zu gehen? Warum interpretieren wir andere lieber, anstatt sie zu fragen? Und warum liegen wir mit unseren Annahmen oft so gründlich daneben, ohne dass wir’s merken?
- Als soziale Wesen leben wir in ständiger Angst, aus einer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden.
Nicht dazuzugehören oder nicht passend zu sein, ist seit der Steinzeit so ziemlich das Schlimmste, was uns Menschen passieren kann. Das gilt bis heute, denn unsere Instinkte und Emotionen sind eben nach wie vor sehr steinzeitlich:
“… Wenn Ihr Clan Sie rausschmeißt, wird es nicht lange dauern, bis die Wölfe Sie aufspüren. Wie also schützt Sie der Geist vor Ablehnung? Indem er Sie mit anderen Mitgliedern der Gruppe vergleicht: Passe ich da hinein? Tue ich das Richtige? Trage ich genügend bei? Bin ich so gut wie andere? Tue ich etwas, durch das ich mir die Ablehnung einhandeln könnte?
Klingt das vertraut?
Unser moderner Geist warnt uns ständig vor Ablehnung und vergleicht uns mit dem Rest der Gesellschaft. Kein Wunder also, dass wir so viel Energie dafür aufwenden, uns Gedanken zu machen, ob die Leute uns mögen oder nicht! Kein Wunder, dass wir immer nach Möglichkeiten suchen, uns zu verbessern, dass wir Ausschau halten oder uns Vorwürfe machen, weil wir irgendeiner Sache ’nicht gerecht’ werden.“
Aus: Russ Harris, Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei*
Deshalb haben wir alle haben einen sehr sensiblen Nerv für schlechte Gefühle.
Wir investieren viel Zeit und Energie, um das Verhalten anderer zu beobachten, uns mit anderen zu vergleichen und uns selbst kritisch zu hinterfragen.
Jeder Reiz von außen — alles, was wir hören, sehen und fühlen — durchläuft unseren persönlichen Filter aus Erinnerungen, Glaubenssätzen und unserem Selbstbild.
Wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist, sondern betrachten sie durch unsere ganz persönliche Brille.
Die kann, je nach Stimmungslage und Tagesform, rosarot oder Grau-in-Grau sein.
Wer gut drauf ist, interpretiert das Hochziehen der Mundwinkel seines Gegenübers als freundliches Lächeln, wer schlechte Laune hat, als blödes oder sogar abfälliges Grinsen.
- In der Psychologie wird dieses Phänomen als Projektion bezeichnet: Inhalte und Stimmungen, die eigentlich zu uns gehören, werden auf andere übertragen und verzerren unsere Wahrnehmung.
Wer schlechte Laune hat, erwartet Schlechtes. Wer unsicher ist, fühlt sich schnell angegriffen. Und niemand misstraut der Wahrheit so sehr wie ein notorischer Lügner: Wir spiegeln unser Inneres immer ins Außen.
“Unser Selbstbild bestimmt, was wir wahrnehmen.”
Stefanie Stahl, Wer wir sind: Wie wir wahrnehmen, fühlen und lieben — Alles, was Sie über Psychologie wissen sollten*
Selbstsabotage durch Projektion
Es gibt also keine “objektive” Wahrheit in unserer Wahrnehmung. Alles, was wir als faktenbasierte Realität ansehen, ist nichts weiter als unsere Interpretation der Welt um uns herum. Das hat Watzlawick mit seiner Geschichte vom Hammer so treffend beschrieben.
Der Mann, der das Bild aufhängen will, hat mit seinem Nachbarn kein einziges Wort gewechselt. Alles passiert nur in seinem Kopf, bis er schließlich zur Nachbarstür stürmt und seinen nichtsahnenden Nachbarn zusammenschreit. Denn unsere Annahmen beeinflussen nicht nur unsere Gedanken und Gefühle, sondern auch unser Verhalten — egal, ob wir damit richtig oder falsch liegen.
Es ist in unserem Kopf, deshalb halten wir es für real.
Wenn es ungünstig läuft, lässt eine Projektion Zwischenmenschliches zum Eiertanz werden und ist nicht nur in der “Geschichte mit dem Hammer” das Mittel der Wahl zur Selbstsabotage.
Wer unsicher ist, einen schlechten Tag hat oder generell mit einem angekratzten Selbstbewusstsein zu kämpfen hat, wird dazu neigen, die Bemerkungen anderer eher negativ auf sich zu beziehen.
Auch neutrale Kommentare oder sogar ein Kompliment laufen dann Gefahr, umgedeutet und missverstanden zu werden: Aus einem “Du riechst heute so gut!” kann dann schnell ein “soll das heißen, dass ich sonst stinke?” werden.
- Der größte Teil unserer persönlichen Alltagsdramen entsteht durch falsche Annahmen und irreführende Interpretationen von Bemerkungen und Eindrücken. Unser Ärger ist hausgemacht.
Wir produzieren ihn selbst in unserem Kopfkino, weil wir unsicher und/oder schlecht gelaunt sind und deshalb Schlechtes erwarten.
Verändere dein Selbstbild und du veränderst dein Leben
Einfach abschalten können wir unsere Wahrnehmungs-Brille nicht.
Aber wir können uns immer wieder klarmachen, dass wir eine Situation oder das Verhalten eines anderen Menschen nicht so erleben, wie er oder sie tatsächlich ist, sondern wie wir sie — im Moment — interpretieren.
- Wenn man sich angegriffen oder beleidigt fühlt, ist die Frage nach der Motivation des anderen hilfreich.
- Warum handelt jemand so, wie er handelt? Welches Motiv könnte mein Gegenüber haben, mich anzugreifen oder zu beleidigen, welchen Vorteil hätte diese Person davon? Wenn man ehrlich darüber nachdenkt, wird man in den allermeisten Fällen keinen schlüssigen Grund finden.
Bevor man möglichen Fake-Story glaubt, die man sich selbst zusammengebraut hat, und sich über eine dahingeworfene Bemerkung oder rücksichtsloses Benehmen ärgert, lohnt sich in jedem Fall ein Fakten-Check.
Oder ganz klassisch: Bevor man andere anschreit, erstmal innehalten und bis 10 zählen. Und sich selbst fragen, ob man tatsächlich Grund zum Ärgern hat oder gerade sein eigenes Drama inszeniert.
“Wer nicht sicher ist, was jemand meint, hat oft die verquere Angewohnheit zu vermuten, was es heißen könnte. Lieber spekulieren wir wild drauflos, anstatt einmal kurz nachzufragen. Würde vieles leichter machen, denn ungünstigerweise liegen wir mit unserer Interpretation doch ziemlich oft daneben. …
Weil wir aber selten mitbekommen, dass das, was wir Wahrheit nennen, in Wirklichkeit nur eine Annahme ist, kommt es ganz zwangsläufig zur Kollision.“
Karin Kuschik, 50 Sätze, die das Leben leichter machen: Ein Kompass für mehr innere Souveränität*
Selbsterfüllende Prophezeiungen
Der Klopapier- und Nudel-Notstand zu Beginn der Corona-Pandemie ist ein typisches Beispiel für eine selbsterfüllende Prophezeiung: Die Erwartung (einer Klopapier- und Nudelknappheit) führt zu einem Verhalten (Hamsterkäufe), was wiederum für das Eintreffen der Erwartung sorgt.
Kleiner Auslöser, große Wirkung.
- Ohne die Erwartung einer bevorstehenden Klopapier-Krise wäre es vermutlich trotz Pandemie nie zum Engpass gekommen. Die Franzosen erlebten pandemiebedingte Hamsterkäufe übrigens auch, allerdings nicht mit Klopapier, sondern mit Wein; in Italien wurden Präservative knapp.
Eine Krisen offenbart eben immer das, was uns besonders wichtig ist …
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Caravaggio übers Impfen, die alten Meister im Homeoffice, Hamsterkäufe und Abstandsregeln …
Humor ist bekanntlich, wenn man trotzdem lacht. Und glücklicherweise können wir wieder lachen — zumindest über Pandemie & Co.
Zum Beispiel mit diesem kleinen Meisterwerk von Wolfgang Luef. Ein zauberhaftes kleines Buch, bestens geeignet, um sich selbst oder anderen eine Freude zu machen.
Wie unsere Erwartungshaltung — meistens unbewusst — unser Verhalten beeinflusst und dadurch ganz wesentlich über Erfolg oder Misserfolg mitbestimmt, wurde wissenschaftlich erstmals in den 1960er Jahren vom deutsch-amerikanischen Psychologieprofessor Robert Rosenthal und seiner Kollegin Lenore Jacobson untersucht.
Ihre ersten Studien führten sie an amerikanischen Grundschulen durch, um herauszufinden, ob die Erwartungen von Lehrerinnen und Lehrern einen Einfluss auf die Leistung ihrer Schülerinnen und Schüler haben. Das Ergebnis: Die Erwartungen hatten einen immens großen Einfluss auf den schulischen Erfolg der Kinder.
Der Rosenthal-Effekt (wenn es um eine einzelne Person geht, wird er auch als Pygmalion-Effekt bezeichnet) wurde seitdem in vielen Untersuchungen reproduziert.
Man weiß heute, dass er Auswirkungen auf alle Lebensbreiche hat — und dass er sich sowohl positiv als auch negativ auf die eigenen Einstellungen und Handlungsmuster auswirken kann und damit über persönlichen Erfolg oder Misserfolg mitentscheidet.
Aber niemand ist — in der Regel — diesen unbewussten Effekten schutzlos ausgesetzt.
Denn wir selbst sind diejenigen, die über unseren Erfolg oder Misserfolg am stärksten mitentscheiden. Indem wir uns unbewusste Glaubenssätze, Erwartungen, Verhaltensmuster und “stille” Aufträge bewusst machen, die zu Selbstsabotage und ’selbsterfüllende Prophezeiungen’ führen. Und uns darin üben, sie in unserem Sinn zu beeinflussen und zu ändern.
Copyright: Agentur für Bildbiographien, 2014, überarbeitet 2024, www.bildbiographien.de
Lesen Sie im nächsten Beitrag: Wie die Erwartungen, aber auch die Ablehnung der Eltern über Erfolg oder Misserfolg ihrer erwachsenen Kinder mitentscheiden.
Krabbenkorb- und Rosenthal-Effekt: Wie uns die Erwartungen unserer Eltern beeinflussen
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Die Geschichte vom verlorenen Schlüssel
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Dr. Susanne Gebert
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