Hitlers Krieg 1941: Ab März 1941 berichten immer mehr sowjetische Spione von einem nicht enden wollenden Strom deutscher Truppen, die Richtung Osten marschieren.
Doch Stalin wiegelt ab: In Berlin gäbe es „Falken“ und „Tauben“, wobei Hitler zu den „Tauben“ zähle …
Der Hitler-Stalin-Pakt 1939
Die Ouvertüre zu einem der fürchterlichsten und grausamsten Kriege in der Geschichte hatte rund zwei Jahre zuvor begonnen.
Um genau zu sein: In der Nacht vom 23. auf den 24. August 1939.
In Moskau unterschreiben im Beisein Stalins Reichsaußenminister von Ribbentrop für Deutschland und der sowjetischen „Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten“ Molotow den Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt.
Die Vorverhandlungen zum Nichtangriffspakt waren lang und zäh, doch als die deutsche Delegation zur Unterzeichnung per Flugzeug anreist, kommt ihr Besuch fürs sowjetische Protokoll trotzdem sehr überraschend.
Man muss die Hakenkreuzfahnen für den gebührenden Empfang aus einem Filmstudio besorgen, in dem gerade ein Anti-Nazi-Film gedreht wird. Auf einigen Fahnen sind die Hakenkreuze spiegelverkehrt aufgenäht.
Im Pakt zwischen „Bestie” (Hitler über Stalin) und „Unmensch” (Stalin über Hitler) werden offiziell gegenseitige Neutralität im Kriegsfall und Konsultationen bei Meinungsverschiedenheiten vertraglich festgelegt.
Außerdem erhält Deutschland umfangreiche Rohstofflieferungen, die es dringend für die Aufrüstung braucht.
- Der eigentliche Zündstoff des Paktes liegt im „Geheimen Zusatzprotokoll“, in dem beide Diktatoren ihre „Interessensphären in Osteuropa“ abgrenzen: Der Osten Europas wird zwischen der Sowjetunion und Großdeutschland aufgeteilt, souveräne Nationen wie Polen oder Finnland sollen dafür von der Landkarte verschwinden.
Am Morgen danach fährt Stalin zufrieden in seine Datscha und prahlt vor führenden Genossen:
„Ich weiß, was Hitler im Schilde führt. Er glaubt, er ist schlauer als ich, aber in Wirklichkeit habe ich ihn überlistet.”
Stalin im August 1939
Stalin will vor allem Zeit gewinnen, denn ihm ist bewusst, dass seine „gesäuberte“ Rote Armee nicht in der Lage ist, einen Krieg gegen das hochgerüstete, vor Kraft strotzende Großdeutschland zu bestehen.
- Dass es in absehbarer Zeit zu einem Krieg in Europa kommen wird, ist im August 1939 eigentlich allen klar.
Stalins Plan ist, dass sich Deutsche, Briten und Franzosen in einem Abnutzungskrieg gegenseitig erschöpfen und die Sowjetunion am Ende als eigentliche und einzige Siegermacht aus dem Tumult hervorgeht.
Er hätte es besser wissen müssen, schließlich ist er einer der wenigen ausländischen Spitzenpolitiker, die Hitlers „Mein Kampf“ gelesen haben. Dort stand alles drin, was er von Hitler zu erwarten hat.
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Unternehmen Barbarossa
Der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt hält dem „Dritten Reich“ den Rücken im Osten frei und macht den Kriegsbeginn, am 1. September 1939 erst möglich.
Aber Hitlers eigentliches Kriegsziel ist von Anfang an der rassistische und ideologische Vernichtungskrieg im Osten, die Eroberung von „Lebensraum“ für den Fortbestand der „arischen Rasse“. Zunächst muss er dafür allerdings einige “Blitzkriege” zur Vorbereitung führen.
- Nachdem die Wehrmacht Polen, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Dänemark und Norwegen in „Blitzkriegen“ überrannt und besetzt hat, ist Großbritannien ab dem Sommer 1940 sein einziger verbliebener Kriegsgegner.
Nur dass die Briten hartnäckig sind und sich weder durch Friedensappelle noch Bomben in die Knie zwingen lassen.
Hitler beschließt, nachdem er sich die Zähne an den Briten in der „Luftschlacht um England“ ausgebissen hat, sich seinem eigentlichen Kriegsziel, zu widmen. Erst danach will er sich erneut mit Großbritannien befassen.
Einen Zweifrontenkrieg wie im 1. Weltkrieg wollte das Oberkommando der Wehrmacht immer vermeiden. Aber man lässt sich schließlich auf dieses Wagnis ein, weil man mit einem kurzen „Blitzkrieg“ gegen die UDSSR rechnet.
Denn spätestens seit dem blamablen sowjetischen Winterkrieg gegen Finnland weiß das deutsche Oberkommando, wie schwach die Rote Armee tatsächlich ist.
- Der „Führer“ und seine Militärs rechnen mit einem Feldzug von nur wenigen Wochen, einem „Sandkastenspiel”, wie Hitler glaubt. Die Kampfkraft der von Stalin gesäuberten Rote Armee sei, nach Hitlers Worten, „nicht mehr als ein Witz”.
Dieses Mal teilt der deutsche Generalstab Hitlers Zuversicht und bestärkt ihn in seiner Absicht. Am 18. Dezember 1940 erlässt der „Führer“ die Weisung für den Krieg gegen die UDSSR. Geplant wird der Überfall für März oder April 1941.
„… Hitler erlitt in seiner Kindheit, außer Scharlach im Alter von neun Jahren, keine schweren Krankheiten — doch der Tod war in seiner familiären Umgebung allgegenwärtig …
Vielleicht bestand Hitler deshalb darauf, den Krieg schon 1939 zu beginnen, in jenem Jahr, in dem mit großem Pomp gefeiert wurde … Ohne die Sorge um einen frühen Heimgang hätte er möglicherweise auf seine Generalität gehört, die Deutschland 1939 bei Weitem noch nicht für kriegsbereit hielt, und mit seiner Aggressionspolitik vielleicht bis etwa 1943/45 gewartet.”
Aus: Roland D. Gerste, Wie Krankheiten Geschichte machen: Von der Antike bis heute*
Mussolini hat eigene Pläne
Auch der „Duce”, Italiens faschistischer Diktator Benito Mussolini und Achsenverbündeter Hitlers, hat Träume. Sein Ziel ist ein italienisches Imperium altrömischen Ausmaßes, das den gesamten Mittelmeerraum umspannt: „Mare Nostrum” (lateinisch für „unser Meer“) als Mittelpunkt seines Herrschaftsbereichs.
Mussolini rechnet mit einem Krieg in Europa frühestens ab 1942. Und muss dann 1939 erleben, wie sein einstiger Bewunderer und Meisterschüler Adolf Hitler innerhalb eines halben Jahres halb Europa überrennt. Der „Duce” ist überzeugt, dass Italien Vergleichbares erreichen kann.
Der „Duce” hat große Ziele — aber nur beschränkte Mittel. Denn was er nicht wahrhaben will, ist, dass Italien weder wirtschaftlich noch militärisch auf einen langen industriellen Krieg vorbereitet ist. Das scheint er dadurch kompensieren zu wollen, indem er nicht nur einen Feldzug, sondern mehrere Feldzüge gleichzeitig führt, was immer in einer Katastrophe endet.
- Ohne Absprache mit Hitler befiehlt er Ende Oktober 1940 gleichzeitig Griechenland und Ägypten anzugreifen. Ein Fiasko, denn Griechenland wehrt sich erbittert und besetzt im Gegenzug sogar italienisch besetzte Gebiete in Albanien: 16 griechische Divisionen halten 27 italienische in Schach
Mussolini muss schließlich Hitler um Hilfe bitten, um einer blamablen Niederlage zu entgehen.
Der schäumt vor Wut. Wohl oder übel muss „Unternehmen Barbarossa“ verschoben werden, um Mussolini aus der Patsche zu helfen.
Dazu kommt, dass es im bislangen „achsenfreundlichen” Jugoslawien einen Umsturz gegeben hat und die neue Regierung auf Seiten der Briten steht. Für Hitler völlig inakzeptabel.
- Am 6. April 1941 marschiert die Wehrmacht ohne Kriegserklärung zeitgleich in Jugoslawien und Griechenland ein. Beide Feldzüge verlaufen nach Plan und enden in „Blitzsiegen”: Nach 11 Tage kapituliert Jugoslawien bedingungslos, am 30. April ist das griechische Festland und die wichtigsten Mittelmeerinseln außer Kreta von der Wehrmacht und italiensischen Verbänden besetzt.
Hunderttausende Kriegsgefangene werden als Zwangsarbeiter ins Reich deportiert. In den besetzten Gebieten beginnt der Terror.
Hitlers Weisung, die Sowjetunion bis Ende 1941 zu erobern, besteht aber nach wie vor.
Seine Generäle sind von den angepassten Angriffsplänen und dem neuen Zeitplan wenig begeistert, denn die anvisierten Gebiete erstrecken sich über Tausende von Kilometern. Dem „Führer” ist das egal.
- Denn zwei Dinge kommen in Hitlers strategischer Planung nicht vor: die Weiten Russlands und die sowjetische Bevölkerung. Aber von solchen Lappalien lässt sich der „Führer“ nicht aufhalten. Drei Monate später als ursprünglich geplant beginnt am 22. Juni 1941 das „Unternehmen Barbarossa“.
22. Juni 1941: Überfall auf die Sowjetunion
Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet der sonst bis zur Paranoia misstrauische Stalin die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Aber auch Stalin kann sich nicht vorstellen, dass Hitler und seine Generäle so verrückt sein könnten, einen Zweifrontenkrieg zu wagen.
Zwar meldet der sowjetische Top-Spion Richard Sorge im Mai aus Japan, dass ein Angriff der Deutschen mit 150 Divisionen für den 20. Juni 1941 geplant sei. Außerdem ist bekannt, dass täglich bis zu vier Züge in die Aufmarschräume nach Polen fahren, um Wehrmachtseinheiten und Panzer in Stellung zu bringen.
- Aber Stalin findet die passende Erklärung: Der „Führer” wolle ihn mit dem Aufmarsch „nur einschüchtern”, um sich für kommende Verhandlungen eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen. Er wischt alle Warnungen und Hinweise als Manipulationsversuche und westliche Propaganda vom Tisch.
Seinen Militärs und Beratern droht er, „dass Köpfe rollen werden“, wenn sie ohne seine Erlaubnis Truppenbewegungen durchführen würden.
Als das „Unternehmen Barbarossa“ in den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 beginnt, sind viele Divisionen der Roten Armee weder vorbereitet noch angemessen ausgerüstet und ausreichend mit Soldaten besetzt.
Stalin hat einen Nervenzusammenbruch, als er erfährt, dass Hitlers Truppen auf dem Vormarsch sind.
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Der große vaterländische Krieg
Das „Unternehmen Barbarossa“ ist die größte militärische Operation aller Zeiten: 3,5 Millionen Soldaten der Deutschen Wehrmacht und verbündeter Truppen aus Italien, Ungarn, Finnland, Rumänien und der Slowakei sind im Einsatz, 4000 Panzer und ebenso viele Flugzeuge stehen für den Vormarsch bereit.
Während Görings Luftwaffe den Großteil der sowjetischen Flugzeuge zerstören kann, weil sie ohne Tarnung auf den ungeschützten Flugfeldern vor den Hangars stehen, und die Bodentruppen der Roten Armee unter unermesslichem Blutzoll Kilometer für Kilometer zurückweichen müssen, ist „der Stählerne” untröstlich.
Und vor allem: unauffindbar. Sogar seine engsten Vertrauten wissen nicht, wo er steckt.
Währenddessen durchbricht die deutsche Wehrmacht eine Verteidigungslinie nach der anderen, kesselt ganz Armeen ein und erobert Hunderte Quadratkilometer sowjetischen Territoriums.
An Stelle des untergetauchten Stalin informiert Außenminister Molotow die sowjetische Bevölkerung über den Angriff der Deutschen und ruft sie zum Krieg gegen die Faschisten auf. Erstmals spricht er – in Anlehnung an den (siegreichen) Abwehrkampf Russlands gegen Napoléon – vom „Vaterländischen Krieg“.
Man findet den „Woschd“ (russisch “Führer”) schließlich in seiner Datscha, wo er weder Telefonate entgegennimmt noch Besucher empfängt. Erstmals in seiner Geschichte scheint er kleinlaut zu sein.
Ein hochrangiger Parteigenosse berichtet später, Stalin habe in diesen Tagen einfach nicht gewusst, was er dem Volk hätte sagen sollen.
Als eine Abordnung von Politbüro-Mitgliedern auftaucht, fürchtet er, verhaftet zu werden. Aber seine Befürchtungen sind unbegründet. Die Genossen drängen ihn stattdessen, weiterzumachen. Eine seltsame Bitte, denn Stalin hat offenkundig mit seiner Fehleinschätzung das ganze Land in größte Gefahr gebracht.
Dazu kommt die Schwächung des eigenen Militärs und die Terrorisierung der Gesellschaft wenige Jahre zuvor. Fast alle Funktionäre der Abordnung, die man zu ihm geschickt hat, haben Verwandte und Freunde, die Stalin einsperren oder umbringen ließ.
Mit dem Mut der Verzweiflung
Das fast Unglaubliche geschieht: Die von Stalin terrorisierten, geknechteten und gequälten Russen vergessen das, was Stalin ihnen in den Jahren der „Entkulakisierung” und des „großen Terrors” angetan hat, und ziehen für ihn und ihre Heimat in diesen fürchterlichen Krieg.
Frauen melden sich zu Tausenden bei den örtlichen Wehrkomitees und betteln darum, an der Front kämpfen zu dürfen. Selbst Halbwüchsige schuften in Rüstungsfabriken bis zu 12 Stunden täglich, um die Faschisten aus ihrer Heimat zu vertreiben.
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Rund eine Millionen russischer Mädchen und Frauen zogen in den Krieg gegen die Deutschen: Als Küchenhilfen, Sanitätshelferinnen, die Verletzte noch während der Gefechte aus den Frontlinien schleppten — und als Soldatinnen. Die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch hat die jungen Frauen von damals interviewt und ihre Geschichten aufgeschrieben. Ein sehr lesenswertes Buch, auch wenn viele Erzählungen sehr beklemmend und manchmal kaum auszuhalten sind.
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Die UDSSR mobilisiert mit dem Mut der Verzweiflung ihr ungeheures Potenzial.
Unter allergrößten Mühen. Denn viele kampferprobte Militärs waren der großen „Säuberungen“ zum Opfer gefallen; ihren Nachfolgern fehlt es häufig an Mut, Know-how und Erfahrung.
Unendlich viele Soldaten bezahlen Stalins Paranoia der vergangenen Jahre jetzt mit ihrem Leben.
„Ein Soldat der Roten Armee muss bis zum Tod kämpfen“ (Stalin)
Am 3. Juli 1941, gut zwei Wochen nach Kriegsbeginn, bricht Stalin sein Schweigen und spricht im Radio zu seinem Volk und seinen Truppen.
„Genossen! Bürger! Brüder und Schwestern! Kämpfer unserer Armee und Flotte, an Euch wende ich mich, meine Freunde.”
Radioansprache Stalins vom 3. Juli 1941
Sein Ton hat sich verändert. Aus Genossen sind nun „Freunde, Brüder und Schwestern“ geworden.
Stalins Art der Problemlösung hat sich dagegen nicht geändert: Mit Terror will er die sich immer weiter zurückziehende Rote Armee zum Kämpfen und Siegen zwingen.
- Doch Terror hilft nicht, denn es fehlt der Roten Armee vor allem an Führung und an einer klaren Verteidigungsstrategie.
Ganze Armeen gehen in fürchterlichen Kesselschlachten unter; in den ersten sechs Monaten werden über 1,5 Millionen sowjetische Soldaten gefangen genommen und ins “Reich” gebracht, wo sie unter fürchterlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten müsssen. Mehr als 60 Prozent überleben diese Tortur nicht. Unzählige ihrer Kameraden sterben auf den Schlachtfeldern.
Um ein Exempel zu statuieren, lässt Stalin den Oberkommandierenden der Westfront und weitere Generäle erschießen. Und verkündet, dass jeder sowjetische Soldat, der in Kriegsgefangenschaft gerät, ein Verräter sei. Für diesen Verrat sollen, so Stalins Wille, auch die Angehörige büßen.
Aber sein Terror nützt nichts: Im Oktober 1941 ist Kiew besetzt, Leningrad belagert und die Wehrmacht ist scheinbar unaufhaltbar auf dem Vormarsch.
Die Evakuierung Moskaus
Am 5. Oktober 1941, 3 Monate nach Beginn des deutschen Überfalls, entdeckt ein sowjetisches Aufklärungsflugzeug eine deutsche Panzerkolonne 130 Kilometer vor Moskau.
Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer, in der sowjetischen Hauptstadt bricht Panik aus. Hohe Beamte und ausländische Botschaften werden ins 800 Kilometer östlich gelegene Kuibyschew (heute Samara) evakuiert, sogar der einbalsamierte Leichnam Lenins wird in einem gekühlten Waggon abtransportiert.
Hundertausende Moskowiter stürmen Züge, die Richtung Osten fahren, der Mob plündert in Moskau verlassene Wohnungen und Geschäfte.
Als Stalin die Nachricht vom scheinbar unaufhaltsamen Vormarsch der Deutschen hört, soll er in Tränen ausgebrochen sein. Auch für seine Flucht ist alles vorbereitet. Doch er bleibt. Viele Historiker*innen halten das für eine der wichtigsten Entscheidungen dieses Krieges.
- Mitte Oktober 1941 setzt dann der Herbstregen ein und bringt mit sintflutartigen Regenfällen die „Schlammzeit“; auf Russisch: Rasputiza. Die deutsche Invasion bleibt nach wochenlangem Vormarsch im Matsch vor Moskau stecken. Aus der modernen motorisierten Wehrmacht wird eine Streitkraft, die sich zu Fuß und mit Pferdekarren durch metertiefe Schlammlöcher kämpft.
Verbrannte Erde und der russische Winter
Im November 1941 beginnt der gefürchtete russische Winter viel früher als gewöhnlich. Zunächst erleichtern die gefrorenen Böden den deutschen Vormarsch und sorgen dafür, dass weitere deutsche Einheiten die Außenbezirke Moskaus erreichen. Es sind nur noch 50 Kilometer bis zum Ziel.
- Aber der russische Winter erweist sich schnell als der mächtigere Gegner. Bei Temperaturen bis minus 52 Grad versuchen deutsche Soldaten in Sommeruniformen — man hatte ja mit einem „Blitzsieg” bis Ende 1941 gerechnet — schließlich nur noch zu überleben. „Väterchen Frost“ legt die deutsche Kriegsmaschinerie lahm. Die Wehrmacht zahlt einen hohen Preis dafür, dass Hitler das „Unternehmen Barbarossa“ um drei Monate verschoben hat.
Dazu kommt, dass die bedrängte russische Bevölkerung wie im vaterländischen Krieg gegen Napoleon das Prinzip der „verbrannten Erde“ praktiziert: Häuser und Lebensmittel werden lieber verbrannt, als sie dem vorrückenden Feind zu überlassen. Gebäude und Vorräte werden vernichtet, die Infrastruktur zerstört.
Für die Wehrmacht, die sich gemäß Himmlers „Generalplan Ost“ weitestgehend durch Raub und Plünderung selbst versorgen soll, ein riesiges Problem.
Ende 1941 sind über 800.000 Soldaten der Wehrmacht kampfunfähig oder tot, Panzer frieren ein, Flugzeuge können nicht mehr starten, Soldaten erfrieren in ihren Sommeruniformen. Die Lage ist so katastrophal, dass sich General von Rundstedt entschließt, Hitler zu informieren.
Kampf um Moskau
Am 5. Dezember 1941 beginnt die Gegenoffensive der Roten Armee: Unter der Führung von General Schukow werden für den Winterkrieg bestens ausgerüstete sibirische Einheiten in den Kampf um Moskau geschickt.
Das frierende und hungernde deutsche Ost-Heer muss entgegen Hitlers Weisung den Rückzug antreten und stellenweise bis zu 200 Kilometer zurückweichen. Die Wehrmacht entgeht nur um Haaresbreite der Vernichtung.
Was allen klar ist, aber niemand auszusprechen wagt: Der Blitzkrieg im Osten ist gescheitert.
Hitler entlässt 40 Kommandeure und richtet sein Militär neu aus: Er ersetzt erfahrene Befehlshaber durch junge ehrgeizige Jungspunde, die sich wesentlich unterwürfiger verhalten und ihn nicht kritisieren.
Auch von Rundstedt wird als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd entlassen.
Kriegserklärung gegen die USA
Während sich die Lage an der Ostfront zuspitzt, trifft Hitler eine der verheerendsten Entscheidungen dieses Krieges: Er erklärt den Vereinigten Staaten den Krieg.
Vorausgegangen war der Luftangriff des mit Deutschland und Italien verbündeten japanischen Kaiserreichs auf den Stützpunkt der US-Pazifikflotte Pearl Harbor am 7. Dezember 1941.
Die USA wären von sich aus nicht in den Krieg eingetreten; sie wurden erst durch den Angriff Japans hineingezogen.
Drei Tage nachdem der amerikanische Präsident Roosevelt Japan den Krieg erklärt hat, erklärt Hitler am 11. Dezember angeblich wegen des Paktes mit Japan seinerseits den Vereinigten Staaten den Krieg.
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Das gibt das deutsch-japanische Abkommen eigentlich nicht her — der Beistandspakt gilt nur für den Fall eines Angriffs auf das Kaiserreich. Aber Japan wurde nicht angegriffen, sondern war selbst der Angreifer. Hitlers Kriegserklärung war nicht notwendig.
Hitlers Generäle sind mit seiner Entscheidung nicht einverstanden, setzen sich aber auch nicht zur Wehr.
Es ist zu vermuten, dass Hitlers Kriegserklärung gegen die USA auf seiner völlig falschen Vorstellung beruht; er unterschätzt ihre Produktionskraft und die US-Army.
Denn 1940 besteht das US-Militär nur aus 140.000 Mann; vermutlich glaubt Hitler, damit ein leichtes Spiel zu haben.
Aber seine Annahme ist falsch. Gegen Ende des 2. Weltkriegs arbeiten 60 Millionen Männer und Frauen für die Army oder stehen unter Waffen.
- Hitler und seine Generalität haben die Wehrhaftigkeit der Roten Armee und der sowjetischen Bevölkerung völlig unterschätzt.
Auch, weil man sie für „rassisch“ unterlegen wähnt. Nun unterschätzt man die Schlagkraft der USA, und hofft, dass sie im Zweifrontenkrieg mit Japan im Südpazifik in Schach gehalten werden.
Es ist ein weiterer katastrophaler Fehler Hitlers in einer langen Kette an katastrophalen Fehlentscheidungen, die der angebliche „größte Feldherr aller Zeiten“ in diesem Krieg trifft …
Lesen Sie im nächsten Beitrag: Nach dem desaströsen Winterkrieg 1941/42 in der Sowjetunion hoffen Hitlers Generäle, wenigstens einen Teil der Wehrmacht durch einen strategischen Rückzug retten zu können. Aber der „Führer“ will keinen Rückzug; er will angreifen. Und dass, obwohl sich das Kräfteverhältnis Ende 1941 dramatisch zu Ungunsten des Dritten Reichs verschoben hat.
Hitlers Krieg: Kriegswende 1942
Copyright: Agentur für Bildbiographien, www.bildbiographien.de, 2023, überarbeitet 2024
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„The only thing we have to fear is fear itself“ (die einzige Angst ist die Angst selbst) sagt Franklin D. Roosevelt in seiner Inaugurationsrede im März 1933. Den meisten Amerikanerinnen und Amerikanern ist in den kommenden 12 Jahren nicht einmal bewusst, dass ihr Präsident eigentlich – nach damaligen Verständnis – ein „cripple“ ist, der selbst schon einmal Hölle und zurück hinter sich hat. Über Amerikas kranke Präsidenten Roosevelt, Kennedy und Woodrow Wilson. Eine Gefahr für die Welt — oder vielleicht sogar ein Segen?
Amerikas kranke Präsidenten: Die schwachen Seiten der Männer im Weißen Haus
Hitlers Anhänger: Schläge und Schweigen, Verdrängen und Neu-Inszenieren sind die Muster, mit denen die ‚Erziehung mit harter Hand‘ von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. Über Alice Miller, Hitlers Mitläufer und Mörder und über schwarze Pädagogik, die aus Opfern Täter macht.
Die Erlaubnis zu hassen
Weiterführende Links:
Auswärtiges Amt: Karte zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt
https://150.diplo.de/150-jahre-de/zeitleiste/-/2278770
LeMO Lebendiges Online Museum: Besetzung Griechenlands 1941
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/besetzung-von-griechenland-1941.html
LeMO Lebendiges Online Museum: Der “Generalplan Ost”
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/voelkermord/generalplan-ost.html
WELT Geschichte: Der U‑Boot-Kommandant, der die Enigma verlor
https://www.welt.de/geschichte/kopf-des-tages/article238595213/Zweiter-Weltkrieg-Der-U-Boot-Kommandant-der-die-Enigma-verlor.html
Bildnachweise:
Sowjetunion, August 1939, Im Moskauer Kreml wird am 23.8.1939 ein Nichtangriffsvertrag zwischen dem deutschen Reich und der UdSSR unterzeichnet. Nach der Unterzeichnung im Gespräch J.W. Stalin und der deutsche Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop (r.), Bundesarchiv, Bild 183-H27337/ CC-BY-SA 3.0
Bundesarchiv, Bild 102–09844 / CC-BY-SA 3.0
Typische Rednergeste Mussolinis (Mailand, 1930)
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. Die grosse politische Rede Mussolinis in Mailand ! Die grosse rednerische Geste des italienischen Diktators während seiner grossen politischen Rede von der Tribüne auf dem Domplatz in Mailand.
Bundesarchiv Bild 101I-164‑0389–23A / CC-BY-SA 3.0 , Athen, Hissen der Hakenkreuzflagge Recolored.jpg, Athen, Akropolis, deutsche Besatzung, Propagandakompanien der Wehrmacht — Heer und Luftwaffe (Bild 101 I)Flagge, Fotograf: Scheerer, Theodor, May 1941
Soldaten der Wehrmacht neben gehängten serbischen Zivilisten in Užička Požega (1941), gemeinfrei
Public hanging of Serbian civilians by German troops in the village of Uzicka Pozega, Serbia.
Autor/-in unbekannt — United States Holocaust Memorial Museum, Fotografie #46702
Sowjetunion.- Infanterie-Soldaten ziehen Auto aus dem Schlamm, Depicted place Russia, Date November 1941, Photographer Unknown, Bundesarchiv, Bild 146‑1981-149–34A / CC-BY-SA 3.0
“Vormarsch unserer Truppen durch die Winterlandschaft vor Moskau. Die Wege sind gefroren und trotz der Kälte geht es leicht vorwärts.” (Originalzitat Kriegsbericht Cusian, 21.11.41), Bundesarchiv, Bild 183-L20813 / Cusian, Albert / CC-BY-SA 3.0
“Rotarmisten greifen an”. Der große vaterländische Krieg, Foto von 1941, Source RIA Novosti archive, image #613474 / Alpert / CC-BY-SA 3.0, Author Alpert / Макс Альперт Commons:RIA Novosti