Im „Erinnern – Wiederholen – Durcharbeiten“ liegt die Kraft des Schreibens.
Wer schreibt, lernt sich selbst besser kennen, kann sein Leben verändern – und glücklicher werden.
Starke Emotionen wie Angst, Freude, Trauer und Zorn erleben alle Menschen ähnlich, doch unsere Vorlieben und Abneigungen sind sehr persönlich.
Unsere Liebe zur Musik, beispielsweise, liegt uns im Blut, aber ob wir Metallica oder lieber Mozart hören, ist eine spezifische und sehr individuelle Mischung aus Genen und Erziehung.
Kenne Dich selbst!“ und: „Jeder muss sein eigenes Leben führen“ sind Aufforderungen, die so oft wiederholt werden, dass sie schon abgedroschen klingen.
Aber auch wenn sich diese Forderungen schon reichlich abgegriffen anhören, sind sie die wichtigste Basis unseres Lebensglücks.
Aber kennen wir uns denn selbst?
Und wenn ja: Dürfen wir auch so sein, wie wir sein möchten?
Kenne dich selbst?
Keine Frage, wer ein erfülltes Leben führen will, muss seinen eigenen Weg finden — und sollte nicht ein Leben lang Mozart hören, nur weil das die Eltern auch schon getan haben und gut finden.
Wobei die Frage der Musikauswahl harmlos ist; kritisch wird es, wenn man zu sehr von der Norm abweicht.
Maurer werden in einer Familie aus Akademikern?
Sich bewusst für die Karriere und gegen Kinder entscheiden — wie erklärt man das Familie und Freund(inn)en?
So viel steht fest: Es sind nicht immer nur die Eltern, die wollen, dass ihre Söhne und Töchter nicht zu sehr von den vorgelebten Werte- und Berufsidealen der Familie abweichen, sondern auch Freunde, Geschwister und alle anderen, die uns nahe stehen.
- Das Problem: Wir plädieren zwar für individuelle Lebenswege, aber zu sehr sollte sich der Weg eines Kindes oder eines Freundes nicht von unserem eigenen unterscheiden.
Wenn jemand aus unserem engeren Kreis einen völlig anderen Weg wählt als wir, verunsichert uns das. Denn nur wer unsere Lebensvorstellungen in ähnlicher Weise übernimmt, erkennt sie dadurch auch als “richtig” an. Alles andere macht uns argwöhnisch.
Wer in der Akademikerfamilie den Berufswunsch ‘Maurer’ verfolgt, wird erstmal mit Gegenwind rechnen müssen.
Aber wie, bitte schön, findet man seinen eigenen Weg, der glücklich macht, ohne die Erwartungshaltung unserer Liebsten zu sehr mit Füßen zu treten?
Sich durch Schreiben selbst besser kennenlernen
Die Vorlieben und Wertvorstellungen von Eltern und Freunden aus Höflichkeit oder Bequemlichkeit zu übernehmen, ist mit Sicherheit keine (Lebens-)Lösung.
Oft sind wir allerdings so gut “erzogen”, dass wir gar nicht mehr genau wissen, was wir eigentlich möchten.
Ein Weg, um herauszufinden, wer man ist und was man will, ist das Schreiben.
UND: Schreiben macht Schmerzhaftes erträglicher und den Kopf in schwierigen Situationen klarer.
Einer der ersten, die die Kraft des Schreibens erkannt und sie sogar für therapeutische Zwecke eingesetzt hat, war der italienische Psychiater Giovanni Fava.
Mit seinen „Tagebüchern des Glücks“ hat er vielen seiner Patienten mit Depressionen das Schwarzsehen abgewöhnt.
- Fava forderte seine Patienten auf, alle guten Momente schriftlich festzuhalten. In einem kleinen Notizbuch sollten sie so genau wie möglich ihre besonderen Glücksmomente notieren und ihr Wohlbefinden von 0 bis 100 Prozent angeben. Viele seiner Patienten weigerten sich zunächst und vermuteten, dass sie mit leeren Seiten zur nächsten Therapiestunde erscheinen würden. Das war nie der Fall.
Denn Psychiater Fava behielt mit seiner Anfangs-Hypothese recht: Selbst im tiefsten Keller einer Depression haben Menschen noch glückliche Momente.
- Das gilt nicht nur für Menschen mit Depressionen, sondern für alle: Oft genug geben wir uns unserer menschlichen Neigung hin und sehen aus alter Gewohnheit alles „Schwarz-in-Schwarz“.
Doch sogar im Zustand größter Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit erleben wir glückliche Momente. Das Problem: Wir bemerken sie nicht.
Warum ein Tagebuch glücklich machen kann
Nachdem die Ergebnisse seiner “Glücks-Tagebücher” so eindeutig waren, entwickelte Fava ein weiteres Experiment, mit dem er Fehlurteile und Selbstsabotage durch unser leider sehr häufig nur halbleeres Glas aufdeckte.
Er ließ seine Patienten genau aufschreiben, wie sie ihre Glücksmomente empfunden haben — und welches Ereignis das Glück des Augenblicks wieder zerstört hat.
Auch die Ergebnisse dieser Untersuchungen entlarvten das, was wir alle an trüben Tagen zu denken bereit sind: So berichtete beispielsweise ein Patient über das schöne Gefühl, beim Besuch seines Neffen freudig empfangen worden zu sein, gefolgt von dem Gedanken: „Er freut sich nur über meine Geschenke“.
Genau solche Gedanken sind es, mit der wir selbst zu oft unsere Glücksmomente eigenhändig untergraben.
Wer sich später erinnert, wird sich möglicherweise nur an das Negative, also an die Zweifel erinnern, und nicht an die Freude.
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- Was geübte Tagebuch- und Journaling-Schreiber*innen schon lange wissen: Beim Schreiben kann sich niemand selbst übers Ohr hauen.
Ungedachtes und Unausgesprochenes wird durch Schreiben greifbar; Erinnerungen und Erfahrungen, die man schwarz auf weiß seinem Tagebuch anvertraut hat, stehen da und können nachträglich nicht mehr verändert oder relativiert werden (was unser Gehirn ansonsten sehr gerne tut).
Psychiater Fava hat mit seinen Glücks-Tagebüchern die menschliche Eigenart umgangen, indem er die Aufmerksamkeit seiner Patienten auf ihre guten Momente richtete statt auf die schlechten.
Mit vollem Erfolg: Wer freudige Augenblicke schwarz auf weiß festhält, kann sie später in seiner Erinnerung nicht wegdiskutieren – und erinnert sich besser an sie.
- Favas Glückstagebücher waren bei seinen Patienten so erfolgreich, dass er daraus eine „Wohlfindenstherapie“ entwickelt hat, die auch Menschen ohne Depressionen hilft.
Sein zentraler Ansatzpunkt ist das Schreiben als „Möglichkeitsraum“, „Schutzraum“ und „Freiraum“, wie es in der Fachsprache der Experten heißt.
Denn wer seine (guten) Erinnerungen aufschreibt, kann sie nachträglich nicht in „unglücklich“ umdeuten.
Tagebuchschreiben als Möglichkeitsraum
Wer schreibt, hat außerdem die Möglichkeit, Umstände und Perspektiven zu wechseln, kann das Für und Wider von Eindrücken und Erfahrungen abwägen, sich ausprobieren und sich auch ein bisschen neu erfinden.
Wenn wir schreiben, müssen wir so ehrlich wie selten zu uns sein – auch und besonders, was unser persönliches Glück angeht.
Denn ein glückliches Leben ist nicht die Folge eines einzigen großen Glücks, sondern ein Puzzle aus vielen kleinen Glücksmomenten.
Genau diese schönen Erinnerungen entscheiden aber darüber, ob wir uns als „Glücks-Kind“ oder als „Unglücks-Rabe“ fühlen.
- Es kommt viel mehr darauf an, wie wir eine Situation wahrnehmen und mit ihr umgehen, und viel weniger, wie die Situation tatsächlich ist.
Wer eine Lebenskrise bewältigt, kann daraus viel Kraft und Selbstvertrauen schöpfen, auch wenn der Ausgangspunkt frustrierend und traurig war. Kenne dich selbst!
Schöner sagt es natürlich Shakespeare:
“Nichts ist gut noch schlecht, nur Dein Denken macht es dazu.“
Copyright: Agentur für Bildbiographien, www.bildbiographien.de, 2016 (überarbeitet 2024)
Lesen Sie im nächsten Beitrag: Wie die Erwartungen, aber auch die Ablehnung der Eltern über Erfolg oder Misserfolg ihrer erwachsenen Kinder mitentscheiden.
Krabbenkorb- und Rosenthal-Effekt: Wie uns die Erwartungen unserer Eltern beeinflussen
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Eigentlich waren wir zu viert. Obwohl Melissa nie so richtig dazu gehörte. Es war einfach nicht die Zeit für Melissa, mit ihren lackierten Fingernägeln, rasierten Beinen und schicken Klamotten. Richtig eng befreundet war ich mit Monika, gelernte Erzieherin, die gerade Therapie machte und Brigitte, die BWL studierte. Ich war frisch geschieden und hatte in der Zeit beim Axel-Springer-Verlag festgestellt, dass weder dieser Verlag noch meine Sekretärinnentätigkeit mit meiner politischen Weltanschauung in Einklang zu bringen war und ich außerdem die Nase voll hatte, von den ganzen Anzugmännern.
Stadt.Leben von Christa Luise Seitz
Bildnachweise:
Agentur für Bildbiographien
Sehr interessanter Artikel. Hoffe Sie veröffentlichen in regelmäßigen Abständen solche Artikel dann haben Sie eine Stammleserin gewonnen.Vielen Dank für die tollen Informationen.
Gruß Sandra
Herzlichen Dank, Sandra!
Im Moment fasse ich die wichtigsten Artikel zum Thema ‘Glück’ zum ebook zusammen — aber danach geht’s weiter!
Viele Grüße an hoffentlich eine neue Stammleserin 🙂