Ihr Flüchtlinge! Flucht und Vertreibung 1944 bis 1950

Ihr Flüchtlinge! Flucht und Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg www.generationengespräch.de

Flucht und Ver­trei­bung: Von ‚Will­kom­mens-Kul­tur‘ kann kei­ne Rede sein, als in den Jah­ren zwi­schen 1944 und 1950 rund 12 Mil­lio­nen Deut­sche und Deutsch­stäm­mi­ge aus dem Osten vor der her­an­rü­cken­den Roten Armee in den Wes­ten flie­hen.

In den Augen vie­ler Ein­hei­mi­scher sind sie die „Pola­cken“, die ihnen das Weni­ge, das sie nach dem ver­lo­re­nen Krieg noch haben, weg­neh­men wol­len. Ein Rück­blick.

Überrollt

Lan­ge Zeit war den Bewoh­nern Ost­preu­ßens unter Andro­hung schwe­rer Stra­fen die Flucht aus ihrer Hei­mat verboten.

An den “End­sieg” glaubt nach Sta­lin­grad außer Hit­ler zwar fast kei­ner mehr, aber der Füh­rer hat einen per­fi­den Plan: Er will Sta­lins vor­rü­cken­der Roten Armee in Ost­preu­ßen einen „Schutz­wall“ aus Men­schen entgegenstellen.

Dafür braucht er die Bevöl­ke­rung in Ost­preu­ßen. Des­halb müs­sen sie bleiben.

Gro­ßes Ver­trau­en in die­sen ost­preu­ßi­schen Wall, der das Reich vor dem Ein­fall der “rasen­den Bol­sche­wis­ten” beschüt­zen soll, hat offen­sicht­lich kei­ner. Zumin­dest vie­le Par­tei­bon­zen nicht, denn die set­zen sich schnellst­mög­lich ab.

Und da fast alle Män­ner im Krieg kämp­fen, sind es Frau­en, Kin­der und Alte, die Hit­lers Vor­stel­lung vom Schutz­wall Ost­preu­ßen erfül­len sollen.

Als schließ­lich die Rote Armee in einer Groß­of­fen­si­ve ab dem 12. Janu­ar 1945 in kür­zes­ter Zeit die deut­sche Front ent­lang der Memel und der Weich­sel durch­bricht, gibt es trotz aller Ver­bo­te auch für sie kein Hal­ten mehr.

Frau­en und Kin­der flie­hen mit Groß­el­tern, alten Tan­ten und Onkeln und ihren wich­tigs­ten Hab­se­lig­kei­ten vor den Rus­sen in gro­ßen und klei­nen Trecks mit über­la­de­nen Pfer­de­kar­ren, Babys, Klein­kin­dern und Gepäck im Bol­ler­wa­gen oder zu Fuß mit einem Kof­fer in der Hand Rich­tung Westen. 

Flüchtlingtreck im Raum von Braunsberg (Ostpreußen), 1945
„Ost­preu­ßen, Flücht­ling­treck“ von Bun­des­ar­chiv, Bild 146‑1976-072–09 / CC-BY-SA 3.0. Lizen­ziert unter CC BY-SA 3.0 de

Die Bedin­gun­gen für ihre Flucht sind katastrophal. 

Es ist tiefs­ter Win­ter, klir­rend kalt — und die Rote Armee erreicht noch vor den meis­ten Flücht­lings-Trecks das Fri­sche Haff bei Elb­ing und ver­sperrt ihnen damit den Flucht­weg über Land.

Die Flucht hat viel zu spät begon­nen, des­we­gen wer­den die meis­ten von der Ost­front ein­fach „über­rollt“.

Das Unternehmen Hannibal

Nach­dem der Land­weg abge­schnit­ten ist, wer­den für die Flücht­lin­ge immer­hin Hilfs­maß­nah­men — so gut es geht — eingeleitet.

Groß­ad­mi­ral Karl Dönitz ord­net im Janu­ar 1945 das Unter­neh­men „Han­ni­bal“ an, die größ­te Eva­ku­ie­rungs­maß­nah­me der Weltgeschichte. 

Mit 700 Schif­fen der Kriegs­ma­ri­ne wer­den über zwei Mil­lio­nen Flücht­lin­ge über die Ost­see nach Meck­len­burg und Schles­wig-Hol­stein gebracht.

Dabei kommt es zu furcht­ba­ren Kata­stro­phen.
Am 30. Janu­ar 1945 wird der zum Flücht­lings­schiff umfunk­tio­nier­te ehe­ma­li­ge Trup­pen­trans­por­ter „Wil­helm Gustl­off“ von 3 sowje­ti­schen Tor­pe­dos getrof­fen und ver­sinkt inner­halb kur­zer Zeit.

Bis heu­te ist die genaue Zahl der Opfer nicht bekannt, es wird geschätzt, dass 5000 bis 9000 Men­schen in der eis­kal­ten Ost­see ertrin­ken.
Beim Unter­gang der Tita­nic im Jahr 1912 star­ben etwa 1600 Menschen.

Der Unter­gang der “Wil­helm Gustl­off” ist die schlimms­te Schiffs­ka­ta­stro­phe in der Geschich­te der Menschheit.

Ihr Flüchtlinge Untergang Wilhelm Gustloff Zitat Günter Grass Generationengespräch
Aus: Gün­ter Grass, Im Krebs­gang*

Die neue Reichshauptstadt Flensburg

Die meis­ten Flücht­lin­ge stran­den im Nor­den Deutschlands.

Hier gibt es mehr intak­ten Wohn­raum als anders­wo im kriegs­zer­stör­ten ‘Reich’, außer­dem lan­den vie­le Geflüch­te­te nach ihrer lebens­ge­fähr­li­chen Flucht übers Meer sowie­so in einem der nord­deut­schen Ost­see-Häfen, von denen vie­le noch eini­ger­ma­ßen beschiff­bar sind.
Unterm Strich nimmt die Pro­vinz Schles­wig-Hol­stein die meis­ten Flücht­lin­ge und Hei­mat­ver­trie­be­nen aus dem Osten auf. 

Für weni­ge Tage wird sogar Flens­burg hoch im Nor­den die neue Reichs­haupt­stadt, denn Ber­lin ist von der Roten Armee eingekesselt. 

Hit­lers Erbe Groß­ad­mi­ral Karl Dönitz

Tief ent­täuscht von Himm­ler, Göring und den ande­ren NS-Gran­den sei­ner Entou­ra­ge hat­te Hit­ler am 30. April 1945 in sei­nem poli­ti­schen Tes­ta­ment den Ober­be­fehls­ha­ber der deut­schen Kriegs­ma­ri­ne, Groß­ad­mi­ral Karl Dönitz, zu sei­nem Nach­fol­ger als Reichs­prä­si­den­ten und Ober­be­fehls­ha­ber der Wehr­macht erklärt.

Der Admi­ral — Hard­li­ner bis zur letz­ten Sekun­de und treu­er Gefolgs­mann Hit­lers — tritt das Erbe wei­sungs­ge­mäß an. 

Er bil­det in Flens­burg-Mür­wik sei­ne geschäfts­füh­ren­de Reichs­re­gie­rung und lässt weiterkämpfen. 

An den “End­sieg” oder ein ver­gleich­ba­res Wun­der glau­ben nach Hit­lers Selbst­mord selbst die Hart­ge­sot­tens­ten wie Dönitz nicht mehr glauben.

Aber man hofft auf einen ande­ren Plan: So lan­ge wei­ter­kämp­fen wie mög­lich und mit Ame­ri­ka­nern, Bri­ten und Fran­zo­sen über einen Sepa­rat­frie­den verhandeln.

Denn irgend­wann, das ist auch den Natio­nal­so­zia­lis­ten klar, wird die Alli­anz aus West­mäch­ten und Sta­lins Sowjet­uni­on aus­ein­an­der­fal­len — müssen.

Eine trü­ge­ri­sche Hoff­nung, die sich nicht erfüllt:
Am 8. Mai 1945 muss Dönitz über einen Flens­bur­ger Radio­sen­der die bedin­gungs­lo­se Kapi­tu­la­ti­on der Wehr­macht im Wes­ten ver­kün­den, am 9. Mai 1945 unter­zeich­net Gene­ral­feld­mar­schall Wil­helm Kei­tel die bedin­gungs­lo­se Kapi­tu­la­ti­on gegen­über der Sowjetunion.

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Von mi gift dat nix!

Zwölf Jah­re lang hat­te man die „deut­sche Volks­ge­mein­schaft“  pro­pa­giert und gefei­ert, jetzt ist sie kei­nen Pfif­fer­ling mehr wert.

Die 12 Mil­lio­nen, die  sich kurz vor oder nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges aus Ost­preu­ßen, Pom­mern, Schle­si­en und dem Sude­ten­land auf die gefähr­li­che Flucht in Rich­tung Wes­ten machen oder von den neu­en Macht­ha­bern im Osten ver­trie­ben wer­den, müs­sen schnell fest­stel­len, dass sie nicht will­kom­men sind.

Für die meis­ten Ein­hei­mi­schen sind die Flücht­lin­ge aus dem Osten die „Habe­nicht­se“, die unein­ge­la­den gekom­men sind, um von dem Weni­gen, das noch übrig ist, zu nehmen. 

Sie sind die ver­laus­ten “Pola­cken” und „Aso­zia­len“, die in Not­un­ter­künf­ten und Bara­cken hausen.

Das wird noch eine gan­ze Wei­le so blei­ben.
Bis weit in die 1950er und 1960er Jah­re sind Flücht­lin­ge  die “Ande­ren” — die “out­group” -, die von den Ein­hei­mi­schen ver­ach­tet werden:

“… Hil­de­gard von Kam­cke hat­te kei­ner­lei Talent für die Opfer­rol­le. Den ver­laus­ten Kopf erho­ben, drei­hun­dert Jah­re ost­preu­ßi­schen Fami­li­en­stamm­baum im Rücken, war sie in die eis­kal­te Gesin­de­kam­mer neben der Die­le gezo­gen, die Ida Eck­hoff ihnen als Unter­kunft zuge­wie­sen hat­te.
Sie hat­te das Kind auf die Stroh­ma­trat­ze gesetzt, ihren Ruck­sack abge­stellt und Ida mit ruhi­ger Stim­me und der kor­rek­ten Arti­ku­la­ti­on einer Sän­ge­rin den Krieg erklärt: ‘Mei­ne Toch­ter bräuch­te dann bit­te etwas zu essen.‘
Und Ida Eck­hoff, Alt­län­der Bäue­rin in sechs­ter Gene­ra­ti­on, Wit­we und Mut­ter eines ver­wun­de­ten Front­sol­da­ten, hat­te sofort zurück­ge­feu­ert: ‘
Von mi gift dat nix!”

Aus: Altes Land* von Dör­te Hansen

Man ver­teilt alle Neu­an­kömm­lin­ge so schnell wie mög­lich vor allem auf länd­li­che Gebie­te, wo man durch Schre­ber­gär­ten, Ern­te­ar­beit und “Nach­stop­peln” auf eine bes­se­re Ernäh­rungs­si­tua­ti­on hofft.

Oft bleibt aber nur der Schwarz­markt, um sich irgend­wie durchzuschlagen. 

Da vie­le Not­un­ter­künf­te unge­heizt sind, wer­den pri­mi­tiv zusam­men­ge­zim­mer­te Brenn­he­xen auf­ge­stellt, die mit Torf beheizt wer­den, meis­tens das ein­zi­ge erschwing­li­che Heiz­ma­te­ri­al — wenn es über­haupt etwas zum Hei­zen gibt.

War­me Klei­dung ist knapp, man sam­melt Schafs­wol­le, die an den Zäu­nen hän­gen­ge­blie­ben ist, um sie zu spin­nen. Neue Hosen und Klei­der wer­den aus alten Uni­for­men, Decken und Bett­zeug geschneidert.

Durch die Umver­tei­lung steigt die Ein­woh­ner­zahl der nord­deut­schen Gemein­den und Klein­städ­te rapi­de an:  In den Krei­sen Eckern­för­de und Stor­marn ver­dop­pelt sie sich, in Groß­hans­dorf zählt man kurz nach Kriegs­en­de 1.500 Ein­hei­mi­schen und 3.500 Flücht­lin­ge, in Rends­burg beträgt der Bevöl­ke­rungs­zu­wachs 65 Prozent.

Lebens­mit­tel­zu­tei­lung bei Kriegsende 

Bei der ers­ten gesamt­deut­schen Volks­zäh­lung im Okto­ber 1946 leben in Schles­wig-Hol­stein 2,6 Mil­lio­nen Men­schen, das sind rund eine Mil­li­on Ein­woh­ner mehr als vor Kriegs­be­ginn 1939.

In Zah­len “kom­men” nach Kriegs­en­de in Schles­wig-Hol­stein drei Flücht­lin­ge auf vier Ein­hei­mi­sche, in Nie­der­sach­sen ist das Ver­hält­nis 1:2, in Bay­ern 1:3.

Wir waren die “Russen”

In der sozia­len Hack­ord­nung ste­hen die Flücht­lin­ge ganz unten.

Man mag ihren Dia­lekt, ihr Brauch­tum und ihre Kul­tur nicht, ihre frem­den Sit­ten und Gebräu­che, und gele­gent­lich stört man sich auch an ihrer Reli­gi­on: Pro­tes­tan­ti­sche und „Pill­kal­ler“ trin­ken­de Ost­preu­ßen sind für katho­li­sche Dorf­ge­mein­schaf­ten in Ober­bay­ern schlicht­weg eine Zumutung.

Ihr Flüchtlinge! Flucht und Vertreibung 1944 bis 1950

Als die ers­te Not vor­über ist und in Dör­fern und Gemein­den wie­der Tanz­ver­an­stal­tun­gen und Fes­te statt­fin­den, ach­ten die Müt­ter mit Argus­au­gen dar­auf, dass ihre Söh­ne nicht mit einem Flücht­lings­mäd­chen anban­deln oder ihre Töch­ter einem Flücht­ling schö­ne Augen machen.

Hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand wer­den sie “Rus­sen” oder “Pola­cken” genannt, denn sie sind ja aus dem Osten, und sie sind eben alle­samt Habenichtse. 

Ilse, eine jun­ge Mut­ter, die mit ihren Kin­dern und dem ver­wun­de­tem Ehe­mann aus dem sude­ten­deut­schen Aus­sig ins frän­ki­sche Ster­pers­dorf zum Bru­der ihres Man­nes – einem Pas­tor – geflo­hen war, schreibt spä­ter in ihren Erinnerungen:

… Jenes Jahr ’45 wur­de das schwers­te unse­res Lebens. Es waren nicht die vie­len Unzu­läng­lich­kei­ten im Ver­hält­nis zu unse­ren Ver­wand­ten, unter denen wir lit­ten, es war der völ­li­ge Man­gel an Ver­ständ­nis für unse­re Lage, der mein Herz fast stünd­lich wie mit klei­nen Nadel­sti­chen durch­lö­cher­te.
Es ist müßig im Ein­zel­nen dar­über zu berich­ten, es war sicher vie­les nicht böser Wil­le, son­dern ein­fach mensch­li­ches Ver­sa­gen, Dumm­heit und Selbst­ge­rech­tig­keit. Mög­li­cher­wei­se war auch unse­re Hal­tung manch­mal unge­schickt. Auf alle Fäl­le wur­de das Zusam­men­le­ben und Haus­hal­ten von Tag zu Tag schwieriger.”

Der Faktor “Mensch”

Es ist eine güns­ti­ge Mischung aus vie­len Fak­to­ren, die Deutsch­land so kurz nach dem ver­lo­re­nen Krieg einen Wirt­schafts­auf­schwung beschert, mit dem nie­mand gerech­net hatte.

Neben dem Export sind es vor allem der Woh­nungs­bau und die tra­di­tio­nell star­ke Auto­mo­bil­in­dus­trie, die zu Kon­junk­tur­lo­ko­mo­ti­ven der boo­men­den Wirt­schaft wer­den, der Nach­hol­be­darf ist riesig.

Inner­halb weni­ger Jah­re schaf­fen es die West­deut­schen von der „Stun­de Null“ zur Vollbeschäftigung.

Die Wäh­rungs­re­form, die Idee der sozia­len Markt­wirt­schaft und Lud­wig Erhard sind wich­tig, doch die wich­tigs­te Rol­le beim Wirt­schafts­wun­der dürf­te der „Fak­tor Mensch“ gespielt haben:

Gut aus­ge­bil­de­te Arbeits­kräf­te, die bereit sind, für nied­ri­gen Löh­ne zu arbei­ten, um sich — kos­te es, was es wol­le — eine neue Exis­tenz aufzubauen. 

Beson­ders flei­ßig sind die, die alles ver­lo­ren haben — die Flücht­lin­ge aus dem Osten.
Der “Brain­gain”, der Gewinn an neu­en Talen­ten durch die vie­len Flücht­lin­ge, war fürs Wirt­schafts­wun­der ein wesent­li­cher Fak­tor, sagen Wirt­schafts­his­to­ri­ker heute. 

Ludwig Erhard und das deutsche Wirtschaftswunder www.generationengespräch.de
Der Hun­ger­win­ter, Mar­shall-Plan, Tri­zo­ne­si­en und die Wäh­rungs­re­form: Wie Deutsch­land von der Stun­de Null zum Wirt­schafts­wun­der kam. 

Das hört nicht auf. Nie hört das auf …

Ohne­hin stand für sie fest, dass sowas [wie das Auf­tre­ten jugend­li­cher Neo­na­zis] nur pas­sie­ren konn­te, weil man jahr­zehn­te­lang ‘ieber die Jus­tl­off nich reden jedurft hat. Bai ons im Osten sowie­so nich. Ond bai dir im Wes­ten ham se, wenn ieber­haupt von frie­her, denn immer­zu nur von and­re schlim­me Sachen, von Ausch­witz und sowas jere­det”,

lässt Gün­ter Grass die Mut­ter sei­nes Prot­ago­nis­ten, Tul­la Pokrief­ke, in sei­ner Novel­le Im Krebs­gang* sagen.

Es ist bereits 2002, als Im Krebs­gang* erscheint, und obwohl Flucht und Ver­trei­bung schon vie­le Jahr­zehn­te zurück­lie­gen, ist es ein unge­heu­rer Tabu­bruch: Grass wid­met sich erst­mals dem Leid der Deut­schen am Ende des 2. Welt­krie­ges, das sie durch Flucht und Ver­trei­bung mit etwa 2 Mil­lio­nen Toten erfah­ren haben.

Mit nobel­preis­ver­däch­ti­gem Fin­ger­spit­zen­ge­fühl weist er auf die fata­len Fol­gen hin, die Deut­schen ein­sei­tig als Immer-Schul­di­ge dar­zu­stel­len und nie ihr Leid als Opfer des Krie­ges sehen zu dürfen. 

Eine poli­ti­sche Kor­rekt­heit mit Fol­gen. Heu­te aktu­el­ler denn je: 

Ihr Flüchtlinge Zitat Günter Grass im Krebsgang Das hört nie auf Generationengespräch
Gün­ter Grass, Im Krebs­gang*

Das hört nicht auf. Nie hört das auf.

Im Krebs­gang*” erzählt erzählt Gün­ter Grass die Geschich­te von Ursu­la “Tul­la” Pokrief­ke, die 1945 aus Dan­zig flieht und sich hoch­schwan­ger an Bord der ‘Wil­helm Gustl­off’ ret­tet, einem ehe­ma­li­gi­gen KdF-Damp­fer, der zwi­schen­zeit­lich auch als Trup­pen­trans­por­ter und als Laza­rett­schiff dien­te.

Die Wil­helm Gustl­off, benannt nach einem NS-Funk­tio­när, der 1936 von einem Juden erschos­sen wur­de, wird in der Nacht vom 30. Janu­ar 1945 bei ihrer Fahrt in Rich­tung Wes­ten von 3 sowje­ti­schen Tor­pe­dos getrof­fen und sinkt.
Das Schiff ist über­la­den mit deut­schen Flücht­lin­gen. Zwi­schen 5000 und 9000 von ihnen ertrin­ken in der eis­kal­ten Ost­see. Es ist ist die schlimms­te Schiffs­ka­ta­stro­phe in der Geschich­te der Mensch­heit.

Tul­la wird geret­tet.
Ihr Sohn Paul, den sie noch in die­ser Nacht zur Welt bringt, inter­es­siert sich nicht für Tul­las alte Geschich­ten. Aber sein Sohn Kon­rad, Tul­las Enkel, umso mehr.

Kon­rad iden­ti­fi­ziert sich zuneh­mend mit “Wil­helm Gustl­off”, radi­kal­siert sich im Inter­net und erschießt schließ­lich bei einem Tref­fen einen Jun­gen, den er aus dem Netz kennt. Der nennt sich David, gibt sich als Jude aus und “schän­det” in Kon­rads Augen ein ehe­ma­li­ges Denk­mal für Gustl­off, indem er dar­auf spuckt.

Wäh­rend Kon­rad im Gefäng­nis sitzt und ihm der Pro­zess gemacht wird, ver­sucht sein Vater Paul her­aus­zu­fin­den, was mit sei­nem Sohn pas­siert ist.

Copy­right: Agen­tur für Bild­bio­gra­phien, www​.bild​bio​gra​phien​.de, 2015 (über­ar­bei­tet 2024) 

Lesen Sie im nächs­ten Bei­trag: Nach dem Kriegs­en­de 1945 ist Deutsch­land zwar ein armes und hung­ri­ges Land, ein unter­ent­wi­ckel­tes war es nie. Es sind aber nicht nur Fleiß und Lud­wig Erhard, die das deut­sche  “Wirt­schafts­wun­der” ermög­li­chen, son­dern vor allem der kal­te Krieg, die Tat­sa­che, dass Deutsch­lands Kriegs­geg­ner die­ses Mal dazu­ge­lernt haben, — und nicht zuletzt 12 Mil­lio­nen Flücht­lin­ge.
1948: Das Mär­chen vom Wirtschaftswunder

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Erst im Jahr 2002 brach Gün­ter Grass mit “Im Krebs­gang” ein Tabu und beschrieb das Leid der Deut­schen am Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges — und die Fol­gen des lan­gen Schwei­gens dar­über.
Eine viel­schich­ti­ge Novel­le, meis­ter­haft erzählt und sehr lesens­wert!

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Deutsch­land 2015: Aus­ge­rech­net auf dem Höhe­punkt der Flücht­lings­kri­se, in der TV-Mode­ra­tor Tom alle Hän­de voll zu tun hat, wird das wahr, was er lan­ge Zeit nicht wahr­ha­ben will: Sei­ne Mut­ter Gre­ta ist an Demenz erkrankt. Zunächst wider­wil­lig küm­mert er sich um sei­ne Mam, die nicht mehr allei­ne leben kann — und wird dafür reich beschenkt. Denn Gre­ta ver­gisst, was sie immer ver­ges­sen woll­te, und erzählt aus ihrem Leben. Über ihre Flucht im eisi­gen Win­ter 1945 aus Ost­preu­ßen ins besetz­te Hei­del­berg, über die ers­ten Jah­re der Nach­kriegs­zeit und ihre unmög­li­che Lie­be zu einem ame­ri­ka­ni­schen GI. Ein herz­er­grei­fen­der Roman, sehr, sehr lesens­wert!

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Die 90 span­nends­ten Kapi­tel des belieb­ten Pod­casts “Eine Stun­de Histo­ry” von Deutsch­land­funk-Nova zusam­men­ge­fasst in einem Buch zum Blät­tern und Schmö­kern. Am Ende eines jeden Kapi­tels ver­weist ein QR-Code auf den jewei­li­gen Pod­cast, so dass man bei Bedarf das jewei­li­ge The­ma ver­tie­fen kann. Ein span­nen­des For­mat und ein span­nen­des Buch — sehr lesens- und hörens­wert!

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Mat­thi­as von Hell­feld, Mar­kus Dich­mann, Mei­ke Rosen­plän­ter, Histo­ry für Eili­ge: Alles, was man über Geschich­te muss* Ver­lag Her­der, 2020

Wei­ter­füh­ren­de Beiträge:

Hit­lers Hof­staat: Nach der Hoch­zeit und der Geburt der Kin­der wird aus Joseph Goeb­bels‘ eifer­süch­tig bewach­ten Mag­da sei­ne ‚gute Alte‘. Er hat unzäh­li­ge Affä­ren und als er sich neu ver­liebt, bit­tet er Mag­da um eine „Ehe zu dritt“. Wer war Mag­da Goeb­bels und wel­che Rol­le spil­te sie in “Hit­lers Hof­staat”?
Mag­da Goeb­bels (2): Der Bock von Babelsberg

Der Bom­ben­krieg: In der Nacht zum 28. Juli 1943 ent­zün­den 3000 bri­ti­sche und US-ame­ri­ka­ni­sche Bom­ber im Ham­bur­ger Osten einen Feu­er­sturm, in dem über 30.000 Men­schen ster­ben.
Der Schock danach sitzt in Ber­lin tief. Reichs­rüs­tungs­mi­nis­ter Speer sagt zu Hit­ler, noch sechs sol­che Angrif­fe, und der Krieg sei zu Ende. Und Feld­mar­schall Erhard Milch, der Gene­ral­inspek­teur der Luft­waf­fe, erklärt: ‘Wir haben den Krieg ver­lo­ren! End­gül­tig ver­lo­ren!
Ham­burg 1943: Die Ope­ra­ti­on Gomorrha

Der tota­le Krieg 1943: Adolf Hit­ler war nie der begna­de­te Mili­tär­stra­te­ge, für den er sich sel­ber hielt. 1943 ist er zudem gesund­heit­lich ange­schla­gen, hat Anfäl­le, wird zuneh­mend para­no­id und nimmt Amphet­ami­ne und alle mög­li­chen ande­ren Medi­ka­men­ten­cock­tails, die sei­ne Gesund­heit stär­ken sol­len. In die­ser Ver­fas­sung befeh­ligt er sei­ne Armeen — und hofft auf eine Kriegs­wen­de zu sei­nen Guns­ten.
Hit­lers Krieg Der tota­le Krieg 1943

Hit­lers Anhän­ger: Schlä­ge und Schwei­gen, Ver­drän­gen und Neu-Insze­nie­ren sind die Mus­ter, mit denen die ‚Erzie­hung mit har­ter Hand‘ von einer Gene­ra­ti­on an die nächs­te wei­ter­ge­ge­ben wird. Über Ali­ce Mil­ler, Hit­lers Mit­läu­fer und Mör­der und über schwar­ze Päd­ago­gik, die aus Opfern Täter macht.
Die Erlaub­nis zu hassen

Schwar­ze Päd­ago­gik: Es war wäh­rend des Drit­ten Rei­ches ein Best­sel­ler und galt als d e r Leit­fa­den zur Kin­der­er­zie­hung. Über die NS-Päd­ago­gik und Johan­na Haa­r­ers Mach­werk.
Zwi­schen Drill und Miss­hand­lung: Johan­na Haa­r­ers “Die deut­sche Mut­ter und ihr ers­tes Kind”

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Die Deut­sche Geschich­te nach 1945 in alten Kino­wo­chen­schau­en:
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Flucht und Ver­trei­bung aus der Sicht von Zeit­zeu­gen:
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Ost­preu­ßen, Flücht­ling­treck“ von Bun­des­ar­chiv, Bild 146‑1976-072–09 / CC-BY-SA 3.0. Lizen­ziert unter CC BY-SA 3.0 de
Das Laza­rett­schiff Wil­helm Gustl­off im Oslo­er Hafen By Bun­des­ar­chiv, Bild 121‑0665 / CC-BY-SA 3.0
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8760coo­kie-checkIhr Flücht­lin­ge! Flucht und Ver­trei­bung 1944 bis 1950

2 Kommentare zu „Ihr Flüchtlinge! Flucht und Vertreibung 1944 bis 1950“

  1. ihr lie­ben men­schen die ihr das alles lest,schaut zurück auf die­se zeit,war das nicht auch traurig+grausam???? und was haben wir dar­aus gelernt ??????
    macht eure her­zen auf,seid nicht so gemein zu euren mitmenschen,schenkt ein biss­chen lie­be +frie­de eurem nächs­ten das ist doch nicht viel oder???
    “denn die freu­de die wir geben kehrt ins eige­ne herz zurück”
    ich weiss von was ich rede,mir als waisenkind,hat auch die lie­be +zunei­gung gefehlt,zum glück gibt es sie noch die “net­ten menschen”

  2. Mei­ner­seits möch­te ich bemer­ken das wir, ich 1946 ich als 1/2 jäh­ri­ges Baby, mit mei­nen bei­den Schwes­tern 6 und 4 und Jah­re mit unse­ren Eltern aus unse­rer ange­stamm­ten Hei­mat, dem Sude­ten­land, (mein Geburts­ort Anna­berg) “damals“Wohnort Wüst­sei­bers­dorf “/ Merich ‑Schönberg,emal. CSSR im Herbst des glei­chen Jah­res, ver­trie­ben wurden.
    Nach Befehl,der Cechi­schen Sol­da­ten zwags­läüf­ig fol­gend, in Fieh­wa­gongs ver­la­den und Rich­tung Wes­ten gekarrt wurden.Wir hat­ten etwa zwei Std Zeit,nur mit dem mann was man am Lei­be trug, an der Bahn uns zum Abtrans­port einzufinden.
    Ich mitt­ler­wi­le bin 73 Jahre,knapperer immer­noch an mei­nen Erfah­run­gen und den psü­chi­schen Aus­wir­kun­gen aus der dama­li­gen Aus­gren­zugs und Büß­erzei, “als Aus­sät­zi­ge” aus dem Ost­len, der Jah­re (1946 bis weit in die 1970 ger) aus unser Zwangs­ein­wei­sung bei den Ein­hei­mi­schen, in Hessen.
    Unser zuge­wie­se­nes Quartier,ein Schweinestall!
    Der “Vieh­trans­port” “, wur­de auf dem Weg in den Wes­ten, “so auf­ge­löst:, In dem man immer 10 Per­so­nen abzählte,die zu Aus­stei­gen gezwun­gen wuren,egal ob Kin­der, oder Eltern ‚Ver­wan­te von­ein­an­der getrennt wurden.
    War­um las­tet man nun immer den Nach­kriegs­ge­nera­ti­on, noch Jahr­hun­der­te die­se .Wet­kriegs­s­ver­bre­chen an? Wir befin­den uns doch schon fast in einer vierten
    Gene­ra­ti­on! Die­se Mensch haben nich mal einen Hauch von dem dama­li­chen Kriegsgeschehen,im Dru­de ich selbst,nur aus Doku­men­tar­er­zäh­lun­gen mei­ner Eltern und Verwanten!

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