„Sei spontan!“ – warum gut gemeinte Ratschläge oft das Gegenteil bewirken
Gut gemeinte Ratschläge wie „Sei spontan!“, „Kopf hoch!” oder “so schlimm ist es doch gar nicht” werden oft leicht dahingesagt.
Eigentlich sind sie nett gemeint und sollen trösten — richten aber oft mehr Schaden an als Nutzen. Sie erzeugen Druck und Schuldgefühle. Und geben unterschwellig die Botschaft: Deine Gefühle sind nicht richtig!

Warum gut gemeinte Ratschläge oft problematisch sind
Niemand meint es böse, wenn er versucht, einen traurigen Menschen mit aufmunternden Worten zu trösten. Aber Sätze wie „Kopf hoch!“ oder „Ist doch nicht so schlimm!“ wirken selten heilsam.
Im Gegenteil: Sie erzeugen ein schlechtes Gewissen. Wer traurig ist, fühlt sich dadurch falsch – als müsste er seine Stimmung rechtfertigen.
Dabei kennen wir diese Sprüche oft schon aus der eigenen Kindheit. Ohne darüber nachzudenken, geben wir sie weiter – ein transgenerationalen Erbe. Aber eines, das in den emotionalen Müll gehört.
Gefühle lassen sich nicht befehlen

Wie soll man fröhlich sein, wenn man gerade innerlich zusammenbricht?
Was bewirkt ein „Sei spontan!“, wenn man sich am liebsten verkriechen möchte?
So sieht eine klassische Erziehungsfalle aus: Gefühle sollen auf Knopfdruck verändert werden – zur Freude anderer.
Doch echte Emotionen lassen sich nicht befehlen.
Wer Spontanität, gute Laune oder Dankbarkeit einfordert, verlangt Unmögliches – und löst paradoxe Kommunikationssituationen (Double Bind) aus.
Fröhlichkeit als Pflicht
„ … Stellen Sie sich vor, Sie werden in eine Familie hineingeboren, in der – aus welchen Gründen auch immer – Fröhlichkeit Pflicht ist, genauer ausgedrückt, einer Familie, in der Eltern dem Grundsatz huldigen, dass ein sonniges Gemüt des Kindes der offensichtlichste Beweis elterlichen Erfolges ist.
Und seien Sie einmal schlechter Laune, oder übermüdet, oder haben sie Angst vor dem Turnunterricht, dem Zahnarzt oder der Dunkelheit, oder keine Lust, Pfadfinder zu werden. So wie ihre lieben Eltern das sehen, handelt es sich nicht einfach um eine vorübergehende Laune, Müdigkeit, die typische Angst eines Kindes oder dergleichen, sondern um eine wortlose, aber umso lautere Anklage der erzieherischen Unfähigkeit der Eltern.”
Aus: Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein*
Gut gemeinte Ratschläge helfen meist dem, der sie gibt
Unsere Traurigkeit verunsichert andere Menschen. Denn wir alle reagieren auf bestimmte Trigger wie der Pawlowsche Hund aufs Glöckchen: Wenn unser Kind weint, bekommen wir ein schlechtes Gewissen, und die gerunzelte Stirn eines Kunden bereitet uns Sorgen.
Diese Sorgen versucht jeder von uns so gut es geht zu vermeiden. Durch gut gemeinte Ratschläge und Aufmunterungs-Floskeln zum Beispiel.
Geh’ auf dein Zimmer!
„ … Nicht wenige Eltern bringen es dann zu meisterhaften Weiterentwicklungen, indem sie dem Kind zum Beispiel sagen: „Geh’ auf dein Zimmer, und komm’ mir nicht heraus, bis du wieder guter Laune bist.“
Damit ist in überaus eleganter, da indirekter Weise klar ausgedrückt, dass das Kind es mit etwas gutem Willen und einer kleinen Anstrengung fertigbringen könnte, seine Gefühle von schlecht auf gut umprogrammieren und durch die Innervation der richtigen Gesichtsmuskeln jenes Lächeln zu erzeugen, das ihm die Aufenthaltsbewilligung als ‚guter’ Mensch unter ‚guten’ Menschen wiederverleiht.”
Aus: Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein*
Weil wir selbst nicht wissen, wie wir mit der Traurigkeit oder schlechten Laune unseres Gegenübers umgehen sollen, gibt es eben ein “Kopf hoch!”. Solche Sätze beruhigen vor allem uns selbst – nicht den anderen.
Doch mit Ratschlägen à la „Sei nicht traurig“ verlangen wir, dass jemand gegen sein aktuelles Gefühl ankämpft – und machen es damit nur schlimmer.
Schuldgefühle statt Trost: Erziehung durch emotionale Erpressung
Viele Kinder lernen früh: Wenn ich traurig bin, enttäusche ich meine Eltern. Also versuche ich, gute Laune vorzutäuschen, auch wenn es mir nicht gut tut.
Eine Mutter, die von ihren Kindern als Dank für ihre Arbeit “nur” Sonnenschein und fröhliches Lachen erwartet (statt pubertärem Gegrummel …), erzieht durch ein schlechtes Gewissen.
Das meistens ohne böse Absicht.
Besonders klug und sensibel ist es trotzdem nicht. Denn nichts kann uns so unter Zugzwang setzen wie ein „Ich tu‘ doch alles nur für Dich!“. Das ist keine Liebe, das ist Manipulation.
Für die, die durch ungebetene Aufopferung in die Pflicht genommen werden, gibt es kein Entrinnen mehr; die Möglichkeit, „Nein“ zu sagen, existiert de facto nicht.
Wer aus Schuldgefühl handelt, verliert seine innere Freiheit. Und das nur, weil jemand erwartet, dass man „funktioniert“ – etwa durch Fröhlichkeit als Gegenleistung für Zuwendung.
Der Kreislauf aus Schuld, Pflichtgefühl und Stress
Nach einem gut gemeinten Ratschlag bleiben meist zwei Optionen:
1) Man bleibt bei seinem Gefühl und enttäuscht das Gegenüber.
2) Oder man spielt gute Laune – und verleugnet sich selbst.
Beides macht unglücklich. Viele reagieren mit innerer Anspannung, obwohl sie nur verstanden werden wollen. Fröhlichkeit auf Abruf? Das funktioniert nie.
Was wirklich hilft: Zuhören statt belehren
Traurigkeit ist kein Problem, das man „lösen“ muss. Sie gehört zum Leben. Wer trösten möchte, sollte zuhören – statt zu belehren oder Stimmung zu machen.
Denn: Gut gemeinte Aufmunterungen führen oft in eine Spirale aus Enttäuschung, Druck und gegenseitigem Unverständnis.
Gute Ratschläge sind miese Helfer
„ … Man macht sich im Allgemeinen im Vorfeld keine Gedanken über das Wie, man hilft einfach drauf los. Das ist nicht immer eine gute Idee. Je mehr ich versuchte, Annes Stimmung zu heben, desto schuldiger fühlte sich Anne, dass gerade das nicht funktionierte, desto schuldiger fühlte ich mich, dass ich es nicht hinbekam, desto schlimmer für Anne, und schon befanden wir uns in einem Teufelskreislauf aus Schuld und Schmerz, was niemanden weiterhalf.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich viel Energie, viel Zeit … sowie jede Menge Alkohol reingesteckt, aber es ging Anne nicht besser, es ging allen nur schlechter. Eine miese Bilanz für Helfer.”
Aus: Alexandra Reinwarth: Am Arsch vorbei geht auch ein Weg*
Toxische Positivität: Wenn Fröhlichkeit zur Pflicht wird
Bevor wir andere — besonders unsere Kinder — mit guten Ratschlägen traktieren und Fröhlichkeit, ein sonniges Gemüt und Spontanität durch wohlmeinende Ratschläge einfordern, sollten wir kurz innehalten und uns klar machen, dass Traurigsein zum Leben dazugehört.
Jede*r darf gelegentlich miese Laune haben.
Wer anderen die Traurigkeit abspricht, sorgt langfristig für emotionalen Schaden. Besonders bei Kindern.
Denn wer gelernt hat, seine Gefühle zu unterdrücken, entwickelt leicht Schuldgefühle – oder Depressionen.
“Reiß’ dich doch mal zusammen!”
„ … Nein, was die Depression von dieser Art der Traurigkeit unterscheidet, ist die Fähigkeit, das in der Kindheit Anerzogene später selbständig anzuwenden, indem man sich vorhält, weder Grund noch Recht zur Traurigkeit zu haben. Das garantierte Ergebnis ist die Vertiefung und Verlängerung der Depression.
Und derselbe Erfolg winkt außerdem auch jenen Mitmenschen, die der Stimme des gesunden Menschenverstandes und den Eingebungen ihres Herzens folgend dem Betreffenden gut zureden, ihn aufmuntern und ein bisschen zum Sich Zusammenreißen ermutigen.
Damit nämlich hat das Opfer nicht nur seinen eigenen, entscheidenden Anteil zur Depression geleistet, sondern kann sich doppelt schuldig fühlen, weil es nicht an der rosig-optimistischen Weltschau der anderen teilnehmen kann und damit deren gute Absichten so bitter enttäuscht.”
Aus: Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein*
Was kann man besser machen?
Was kann man tun, wenn man trösten will?
Ganz einfach: zuhören.
Zuhören statt aufmuntern.
Verständnis zeigen statt Lösungen anbieten.
Gefühle gelten lassen.
Eigene Hilflosigkeit aushalten.
So entsteht echte Verbindung – jenseits von Floskeln und emotionalen Erwartungen.
Fazit: Lass andere traurig sein – ohne sie zu verbessern
Traurigkeit darf sein. Spontaneität und Fröhlichkeit lassen sich nicht erzwingen. Wer gut gemeinte Ratschläge lieber runterschluckt und einfach da ist, tut oft viel mehr für sein Gegenüber als durch jedes „Kopf hoch“.
Mehr lesen:
Gefühle sind keine Denkfehler. Für kluge Entscheidungen ohne späte Reue, klare Prioritäten und unsere Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, brauchen wir nicht nur unseren Verstand, sondern auch unser (Bauch-)Gefühl.
Das große Zögern: Warum unser Bauchgefühl für unsere Entscheidungen so wichtig ist
Copyright: Agentur für Bildbiographien, www.bildbiographien.de, 2014 (überarbeitet 2025)
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Vor Ankommen wird gewarnt
Bildnachweise:
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Geschichte und Psychologie
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Dr. Susanne Gebert
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Liebe Susanne,
ich habe lange keinen so gelungenen Blogartikel mehr gelesen! Viele unsinnige Empfehlungen werden uns zu unliebsamen Begleitern in unserem Leben und schwächen unsere Lebenskraft. Danke für die klaren Worte!
Alles Liebe
Annette
Liebe Annette,
herzlichen Dank für Deinen gelungenen Kommentar! 🙂
Vermeiden können wir die “guten” Ratschläge wie “Sei fröhlich” oder “sei doch mal spontan!”, vermutlich nie. Aber es liegt ja an uns, ob wir sie uns anhören und zu Herzen nehmen, oder nicht.
Liebe Grüße zurück!
Susanne