Zwei Heeresgruppen sollen im Frühjahr 1942 Stalingrad einnehmen, um Hitler den Zugang zu den Ölfeldern im Kaukasus zu ermöglichen. Zunächst sieht es nach einem ‘Blitzsieg’ aus.
Doch dann folgt ein unbeschreibliches Debakel, das Hunderttausenden das Leben kostet.
Stalingrad ist die psychologische Wende dieses Krieges — ab da wird die Rote Armee die Wehrmacht in Richtung Westen treiben.
Es waren mehr als 100.000 Soldaten, die starben.
Sie wurden erschossen oder von Minen zerfetzt, sind verhungert oder erfroren.
Weitere 110.000 Männer geraten in Kriegsgefangenschaft.
Von ihnen überleben 6.000.

“Unter der Hakenkreuzfahne, die auf der höchsten Ruine von Stalingrad weithin sichtbar gehißt wurde, vollzog sich der letzte Kampf …
Generale, Offiziere Unteroffiziere und Mannschaften fochten Schulter an Schulter bis zur letzten Patrone. Sie starben, damit Deutschland lebe.”
(Originalauszug aus: Völkischer Beobachter, 29 Dezember 1943: “Das Jahr 1943 im Spiegel der Chronik” )
Der “Fall Blau”
Es war ein unerwartetes und sehr riskantes Vabanque-Spiel, das Hitler und sein Stab trieben, als sie am 28. Juni 1942 den “Fall Blau” anordneten.
Das Unternehmen Barbarossa, der Überfall auf die Sowjetunion, der ein Jahr zuvor begonnen hatte, war durch den extrem kalten Winter 1941/1942 kurz vor Moskau zum Stillstand gekommen.
Jetzt suchte man den Befreiungsschlag für den festgefahrenen Feldzug im Osten.
Im Winter ging nichts ging mehr, weder Waffen, noch Gerät und Soldaten.
Die Truppen der deutschen Wehrmacht waren im Sommer 1941 in Erwartung eines “Blitzkrieges” — die meisten Länder hatte man so erobert, sogar Frankreich — nur mit leichter Sommerausrüstung ausgestattet worden und konnten der Kälte nicht trotzen.
Erst im späten Frühjahr 1942 gewannen sie ihre Mobilität wieder.
Die wollte man nutzen.

Doch statt wie erwartet den Vormarsch auf die — bereits evakuierte — sowjetische Hauptstadt fortzusetzen, änderte Hitler seine Zielrichtung und ordnete den “Fall Blau” an: eine massive Offensive der Heeresgruppe Süd durch die Ukraine in Richtung Wolga und Kaukasus.
Das Ziel waren die sowjetischen Ölfelder im Kaukasus.
Deutschland brauchte sie für seine Kriegsmaschinerie — und die Sowjetunion sollte sie nicht haben.
Die Offensive begann nach mehrmaligem Verschieben am 28. Juni 1942- Insgesamt waren 1,3 Millionen Soldaten beteiligt, darunter 300.000 verbündeter Nationen, hauptsächlich Rumänen und Italiener.
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Der Weg in die Katastrophe
Zwei Heeresgruppen, A und B, sollten in einer Zangenbewegung auf Stalingrad marschieren und sich dort treffen, wobei die Heeresgruppe B, unter ihnen die 6. Armee von General Friedrich Paulus, in Stalingrad bleiben und der Heeresgruppe A Flankenschutz bei deren Vormarsch in den Kaukasus geben sollte.
Am 23. Juli 1942 gibt Hitler den Befehl, Stalingrad in jedem Fall einzunehmen.
Am gleichen Tag ordnet Stalin an, die Stadt, die seinen Namen trug, bis zum Letzten zu verteidigen. (Stalingrad heißt heute Wolgograd.)
Zunächst sieht es tatsächlich nach einem “Blitzsieg” für die Wehrmacht aus.
Bereits am 12. September überrennen deutsche Truppen die Vororte, Ende September sind zwei Drittel der Stadt in deutscher Hand.
Doch mehr und mehr entwickelt sich die Schlacht um Stalingrad zu einem reinen Straßenkampf, bei dem mit unermesslich hohem Blutzoll um einzelne Häuser gekämpft wurde.
Wie 1916 Verdun verbeißen sich die Kriegsgegner ineinander, ohne dass einer von ihnen den entscheidenden Coup landen kann. In Stalingrad wechselt allein der Bahnhof 15 Mal seinen Besitzer.
Am 19. November gelingt der sowjetischen Roten Armee mit der von General Georgi Schukow geplanten Gegenoffensive dann doch noch ein militärisches Glanzstück.
Kaum mehr als zehn Prozent des Stadtgebietes sind noch in sowjetischer Hand, aber die in Trümmern liegende Stadt erleichterte ihre Verteidigung und die deutschen Truppen sind erschöpft; außerdem macht ihnen der einsetzende russische Winters wie im Jahr zuvor erneut schwer zu schaffen.
Zwei sowjetische Angriffsspitzen, eine von Norden und eine von Süden kommend, können den schwachen Flankenschutz der Wehrmacht vernichten und in einer Zangenbewegung aufeinander zumarschieren.
Als sich Nord- und Südverbände am 23. November treffen, sind die deutsche 6. Armee und große Teile der 4. Armee eingekesselt.
Insgesamt über 250.000 deutsche Soldaten.
Eine Katastrophe zeichnet sich ab.
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Rund eine Millionen russischer Mädchen und Frauen
zogen in den Krieg gegen die Deutschen — als Küchenhilfen, Sanitätshelferinnen, die Verletzte noch während der Gefechte aus den Frontlinien schleppten — und als Soldatinnen. Die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch hat die jungen Frauen von damals interviewt und ihre Geschichten aufgeschrieben. Ein sehr lesenswertes Buch, auch wenn viele Erzählungen sehr beklemmend und kaum auszuhalten sind.
Swetlana Alexijewitsch, Der Krieg hat kein weibliches Gesicht*, Suhrkamp Taschenbuch, 2015
Die Schlacht um Stalingrad
In den ersten Tagen wäre für die Deutschen ein Ausbruch möglich gewesen.
Aber Hitler lehnte kategorisch ab. Göring soll die deutschen Truppen mit seinen Flugzeugen aus der Luft versorgen. Ein Plan, der sich angesichts der Truppenstärke als völlig unrealistisch erweist.
Nachdem eine Entsatzoffensive unter Generalfeldmarschall Manstein im Dezember 1942 gescheitert war, bleiben die deutschen Soldaten in Stalingrad sich selbst überlassen.
Es ist Winter und klirrend kalt; die Versorgungslage der Soldaten ein Fiasko.
![Königsberg, Volkssturm, ADN-ZB/ Archiv II. Weltkrieg 1939–45 Deutsch-sowjetische Front in Ostpreußen Mitte Januar 1945: Angehörige des Volkssturmes mit Panzerfäusten in einer Stellung vor Königsberg, [Aufnahme: 20.1.1945], Bundesarchiv, Bild 183-R98401 / CC-BY-SA 3.0](https://xn--generationen-gesprch-szb.de/wp-content/uploads/2014/11/Bundesarchiv_Bild_183-R98401_Königsberg_Volkssturm.jpg)
In der Stadt werden die heftigen Kämpfe weitergeführt.
Mehr als 100.000 Wehrmachtssoldaten fallen in dieser Zeit und nur 34.000 Verwundete können bis zum 25. Januar 1943 ausgeflogen werden, der Tag, an dem die letzte deutsche Flugpiste der Roten Armee in die Hände fällt.
General Friedrich Paulus, ein Offizier der “alten Schule” hält sich trotz der verzweifelten Lage seiner Soldaten aus militärischer Loyalität zunächst an Hitlers Durchhaltebefehl.
Am 31. Januar 1943 ernennt ihn Hitler zum Generalfeldmarschall, was einer Aufforderung zum Selbstmord gleichkommt.
Noch kein deutscher Generalfeldmarschall vor ihm hat kapituliert.
Aber Paulus begeht nicht Selbstmord.
Stattdessen widersetzt er sich schließlich doch der strikten Anweisung aus dem Führerhauptquartier, bis zum letzten Mann zu kämpfen, und kapituliert.
Am 2. Februar 1943 geht er zusammen mit seinen 110.000 verbliebenen Soldaten in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Von den 110.000 Männern werden 6.000 die Gefangenschaft überleben.
Die deutsche Niederlage leitete eine strategische Wende ein.
Der “Fall Blau” war gescheitert, der deutsche Rückzug hatte begonnen.
Für die Rote Armee bedeutete Stalingrad eine psychologische Wende, denn nun war klar, dass die lange Zeit als unbesiegbar geltende Wehrmacht geschlagen werden konnte.
“Die Divisionen der 6. Armee aber sind bereits im neuen Entstehen begriffen” heißt es in der Propagandasprache des Jahres 1943.
Nach Stalingrad gab es keine 6. Armee mehr.
Copyright: Agentur für Bildbiographien, www.bildbiographien.de, 2016 (überarbeitet 2022)
Lesen Sie im nächsten Beitrag: Fast niemand wollte diesen Krieg: Briten und Franzosen nicht, die Sowjets nicht und auch nicht die meisten Deutschen. Die einzige treibende Kraft ist Adolf Hitler. Seit seiner „Machtergreifung“ im Jahr 1933 wird die deutsche Außen- und Innenpolitik, die Wirtschafts- und Finanzpolitik einzig und allein auf das Ziel Krieg ausgerichtet. Eine Chronologie der größten Katastrophe in der Geschichte der Menschheit:
Der Zweite Weltkrieg: Kriegsende-Zusammenbruch-Befreiung
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Weiterführende Beiträge:
Kriegswirtschaft: Raub, Ausplünderung und das Verhungernlassen von 30 Millionen nutzlosen Essern in den eroberten Ostgebieten gehörten von Anfang an zu Hitlers Strategie, um seinen Krieg zu finanzieren und die deutschen Truppen zu versorgen.
Krieg, Hunger und Vernichtung: Adolf Hitler, die deutsche Wirtschaft und der 2. Weltkrieg
Das “Phänomen Hitler”: Schläge und Schweigen, Verdrängen und Neu-Inszenieren sind die Muster, mit denen die ‚Erziehung mit harter Hand‘ von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. Über Alice Miller, Hitlers Mitläufer und Mörder und über schwarze Pädagogik, die aus Opfern Täter macht.
Die Erlaubnis zu hassen
Luftkrieg: 10 Tage und Nächte lang bombardieren 3000 britische und US-amerikanische Flugzeuge in der “Operation Gomorrha” Hamburg und werfen dabei 9000 Tonnen ‘Material’ ab — zunächst ‘Wohnblockknacker’, anschließend Brandbomben. In der Nacht zum 28. Juli 1943 entzünden sie dadurch im Hamburger Osten einen Feuersturm, in dem über 30.000 Menschen sterben.
Hamburg 1943: Die Operation Gomorrha
Flucht und Vertreibung: Lange Zeit war den Bewohnern Ostpreußens unter Androhung schwerer Strafen die Flucht aus ihrer Heimat verboten worden. An den “Endsieg” glaubt schon lange niemand mehr, aber Hitler will Stalins vorrückender Roten Armee in Ostpreußen einen menschlichen „Schutzwall“ entgegenstellen.
Ihr Flüchtlinge! Flucht und Vertreibung 1944 — 1950
Der 1. Weltkrieg: Verdun ist eine kleine Stadt ohne große Bedeutung. Eigentlich ist sie kaum der Rede wert. Doch dann beginnt am Morgen des 21. Februar 1916 die deutsche Operation „Gericht“ und lässt die beschauliche Kleinstadt Verdun — wie 27 Jahre später auch Stalingrad — zum Synonym für die Grausamkeit und Sinnlosigkeit von Kriegen werden.
Vor 100 Jahren: Die Hölle von Verdun
Stalin: Lenins „Mann fürs Grobe“ ist ihm am Ende doch zu grob. In seinem politischen Testament empfiehlt der Begründer und erste Regierungschef Sowjetrusslands (ab 1922 in Sowjetunion umbenannt) dringend, Stalin als allmächtigen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Russlands abzulösen und einen anderen an seine Stelle zu setzen. Aber es ist zu spät.
Wer war eigentlich Stalin? Teil 2
Linkempfehlung:
Stalin und der sadistische Macho-Kult des Tötens. Über das Buch „Verbrannte Erde“ von Jörg Baberowski
https://www.welt.de/kultur/history/article13885068/Stalin-und-der-sadistische-Macho-Kult-des-Toetens.html
Bildnachweise:
Originalauszug aus dem “Völkischen Beobachter” vom 29. Dezember 1943 — Das Jahr 1943 im Spiegel der Chronik -. “Das Ringen um Stalingrad beendet” ist für den 3. Februar 1943 vermerkt — Agentur für Bildbiographien
Zweiter Weltkrieg Europa 1941–1942, Karte de, Quelle: Eigene Karte, basierend auf den Karten der University of Texas Libraries, Autor: San Jose, 17. April 2005
Königsberg, Volkssturm, ADN-ZB/ Archiv II. Weltkrieg 1939–45 Deutsch-sowjetische Front in Ostpreußen Mitte Januar 1945: Angehörige des Volkssturmes mit Panzerfäusten in einer Stellung vor Königsberg, [Aufnahme: 20.1.1945], Bundesarchiv, Bild 183-R98401 / CC-BY-SA 3.0